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Domspitzen

„Ein sehr facettenreiches Stück“

Künstlerischer Leiter Timo Effler über Premiere von „Blackbird“ im Zimmertheater am 30. Oktober

„Ein sehr facettenreiches Stück“

Timo Effler. FOTO: M. OHNHEISER

Das Zimmertheater hat die Krise gemeistert. Gespielt wird seit August 2020 in der Heiliggeistkirche, da der bis dato genutzte Gewölbekeller nicht coronakonform war. Neuestes Stück ist David Harrowers „Blackbird“, in dem die erwachsene Una ein Treffen mit Ray heraufbeschwört, mit dem sie 15 Jahre zuvor eine Beziehung hatte. Das Prekäre: Sie war zwölf, er 38 Jahre. Der Künstlerische Leiter Timo Effler berichtet,wasihn zurInszenierung bewogen hat.

Künstlerischer Leiter Timo Effler über Premiere von „Blackbird“ im Zimmertheater am 30. Oktober

„Ein sehr facettenreiches Stück“-2
Lisa Wittemer. FOTO: ALAN OVASKA

Herr Effler, seit wann sind Sie Künstlerischer Leiter des Zimmertheaters?

Seit 2017. Vorher war ich (und bin es noch) Gymnasiallehrer am Kaiserdom-Gymnasium. Als dann das Angebot kam, im Theaterbereich professionell zu arbeiten, habe ich diese Chance sehr gerne ergriffen. Jetzt habe ich also zwei Berufe.

Was hat Sie veranlasst, dieses Schauspiel von David Harrower für eine Inszenierung auszuwählen?

Ich lese viele Zusammenfassungen von Stücken und wenn mich eine bewegt, lasse ich mir den Text zur Ansicht kommen. Bei „Blackbird“ hat mich die Grundkonstellation interessiert, das Aufeinandertreffen von Täter und Opfer. Esist von Una nach 15 Jahren initiiert, was macht das mit ihr? In dem Stückwerden unterschiedliche Perspektiven vorgestellt, die für beide Figuren jeweils in sich stimmig sind, die sie sich konstruiert haben. Aber wenn die Sichtweisen aufeinanderprallen – das ist das Interessante für den Zuschauer – stellt sich die Frage, wessen Wahrheit stimmt?

Warum gehört dieses Tabu-Thema auf die Bühne?

Weil ich finde, Tabu-Themen gehören grundsätzlich auf die Bühne. Das heißt nicht, dass wir heftige und ernste Themen verharmlosen. Nein, wir geben ihnen den Raum. Es ist natürlich immer der einfachere Weg, eine Komödie zu spielen. Aber mir ist es ein Anliegen, Themen, die gesellschaftlich relevant sind, Platz im Spielplan zu geben. Es sind Themen, die mich sehr berühren. Was bei diesem Stück hinzukommt, ist, dass es unglaublich gut geschrieben ist, viele Wendungen hat und von der Dramaturgie her sehr spannend ist – wie ein Thriller. „Blackbird“ ist ein sehr facettenreiches Stück, das mehrere Ebenen besitzt. Das ist eine Herausforderung für die beiden Schauspieler, aber auch für mich als Regisseur. 

„Ein sehr facettenreiches Stück“-3
Markus Maier. FOTO: NICOLE BÖHM

Wo spielt das Stück?

Es spielt im Pausenraum von Rays Arbeitsplatz, wo Una jäh auftaucht. Aber wir entkoppeln die Handlung von der konkreten Realität und entwickeln ein Alptraumszenario. Dabei arbeiten wir mit Spiegeln, denn es geht um das Sich Bespiegeln. Dahinter steht die Frage: Wessen Alptraum ist es? Für mich ist das Stück sehr kafkaesk, teils surreal.

Was erfahren Una und Ray bei ihrer erneuten Begegnung über ihre gemeinsame Vergangenheit? Gibt es die eine Wahrheit?

Mit Sicherheit gibt es die eine Wahrheit. Nur ob die beiden Figuren Zugriff darauf haben, ist die Frage. Die Traumatisierung von Menschen wirkt sich auf ihre Sicht aus. Das hat also auch eine psychologische Komponente: Warum lässt sich ein Mann auf ein zwölfjähriges Mädchen ein? Die wenigsten Täter sind tatsächlich pädophil veranlagt. Es ist ein Machtding, sie haben einen Minderwertigkeitskomplex.

Dem nachzuspüren, was Ray für ein Mann ist und was Una veranlasst, ihn aufzuspüren, das ist das Spannende.

Wofür steht der Titel?

Harrower hat sich wohl auf den gleichnamigen Beatles-Song bezogen, auf die Amsel mit gebrochenen Flügeln. Da heißt es: „Take these broken wings and learn to fly“. Ich selbst versuche immer, Bilder auf mich wirken zu lassen und bilde Assoziationsketten. Vor meinem geistigen Auge sehe ich eine tote Amsel, das lässt mich gruseln. Man kann es aber auch mit der Beatles-Zeile halten und auf den Aufbruchsgedanken und neue Chancen (für Una) zielen. 
    

Wie eignet sich die Heiliggeistkirche als neuer Spielort?

Wir fühlen uns unheimlich wohl da. Wir haben mit viel Arbeitseinsatz und viel Technik eine große Bühne geschaffen, auch für mehrere Schauspieler. Der Zuschauerraum ist so strukturiert, als seien die Abgrenzungen wegen der Corona-Abstandsregeln Teil des Designs. Für die Akustik sind einige Teile des Raums mit schwarzen Vorhängen abgehängt.

Wie kam es zur Besetzung?

Mit Markus Maier habe ich schon häufig gearbeitet und gespielt; er ist ein sehr wandelbarer Schauspieler, der sich richtig in die Rolle hineinvertieft. In dem Fall von Ray ist es ein unheimlicher Kampf, weil diese Gedankenwelt abstößt, aber er versucht, sich in sie hineinzufinden, damit das Stück authentisch ist.

Lisa Wittemer ist gebürtige Ludwigshafenerin, in Speyer auf die weiterführende Schule gegangen und lebt in München. Sie ist zum ersten Mal beim Zimmertheater dabei. Ich habe immer verfolgt, was sie macht und fand sie für die Figur sehr spannend. Sie kannte das Stück auch und war sofort interessiert. hani

Info

„Blackbird“: Premiere: Sa 30.10.; So 31.10., Fr+Sa 5.+6.11., Fr+Sa 12.+13.11., Fr+Sa 19.+20.11., Fr+Sa 26.+27.11., jeweils 20 Uhr, Heiliggeistkirche, Johannesstr. 6