Pfälzische Volkszeitung – English Section“ hieß das wöchentlich erscheinende Blatt in den ersten fünf Monaten. Verantwortlich zeichnete der 29-jährige RHEINPFALZ-Redakteur Paul Kaps. In der ersten Ausgabe lobten die US-Generäle Robert M. Lee und Miles Reber das Zeitungsprojekt als Brückenschlag zwischen den beiden Völkern. Deutsche, Amerikaner und die übrigen Staaten des Westens sollten sich weiter annähern und verbünden, um die „Freie Welt“ zu verteidigen.Im Grußwort, höchstwahrscheinlich von Paul Kaps verfasst, wurde betont, dass diese englischsprachige Zeitung nicht nur für die US-Soldaten gedacht sei, sondern vor allem für deren Familien. Themen sollten zukünftig Gastronomie, Rezepte, Pfälzer Traditionen, Geschichte und das Zusammenleben von Deutschen und Amerikanern sein. Die Pfalz werde im Mittelpunkt stehen, nicht die Weltpolitik. Eine Sprach-Kolumne, um Deutsch zu lernen, wurde angekündigt.
Die folgte dann eine Woche später. Es ging um Begrüßungen: „Hallo“ sage man in Deutschland nicht, wird betont. Und die Anrede „Herr, Frau oder Fräulein (froilain)“ solle tunlichst immer hinzugefügt werden. In späteren Ausgaben wurde dann erklärt, wie man ein Bier bestellt oder „In München steht ein Hofbräuhaus“ möglichst fehlerfrei singt. Die Konzentration auf unpolitische Themen kam nicht von ungefähr. Entsprang die Idee zu dieser Zeitung doch den Klagen der des Deutschen meist nicht mächtigen Offiziersgattinnen, sie seien vom Leben im Gastland völlig abgeschnitten. Paul Kaps, so ist in dessen Erinnerungen („Die Presse ist an allem schuld“) zu lesen, hatte die Idee einer englischsprachigen Zeitung an RHEINPFALZ-Verlagsführung und -Chefredaktion herangetragen.
Das Problem im Deutschland der 50er-Jahre: Die wenigsten Deutschen sprachen Englisch. Dolmetscher und Presseoffiziere der Amis sprangen daraufhin in die Bresche. Paul Kaps suchte aus der RHEINPFALZ und der „Pfälzischen Volkszeitung“ Kaiserslautern, die seit 1953 mehrheitlich zu dem Ludwigshafener Verlag gehörte, für das US-Publikum interessante aktuelle Nachrichten und Hintergrundgeschichten aus.
Dass vor allem Soldatenfrauen die Zielgruppe waren, ist unschwer erkennbar. Neben dem „Sprachkurs“ gab es ein Pfälzer Kochrezept pro Ausgabe. Ausflugstipps, Artikel über Mode, Kultur, Bräuche und Geschichte sollen den Amerikanerinnen helfen, in der Pfalz heimisch zu werden.
Zum zehnten Jahrestag des US-Einmarsches in Kaiserslautern im März 1955 betonte Paul Kaps, der als Wehrmachtssoldat 1945 in amerikanische Gefangenschaft geraten war, in seinem Leitartikel: „Der Feind ist zum Freund geworden.“ Und die weiterhin existierenden Sprachprobleme, die seien halb so wild, befand er wenig später in der Oster-Ausgabe. Nichts, worüber ein gutes Glas Pfälzer Wein nicht hinweghelfen könne.
Dass die deutschen Geschäftsleute in Kaiserslautern und Umgebung die Soldatenfamilien schnell als lohnende Kundschaft entdeckt hatten, illustrieren die Anzeigen. Da wurden möblierte Zimmer und Wohnungen angeboten, genauso wie Push-up-BHs im „Hollywood-Format“ („Wenn sonst nichts mehr hilft …“). Spirituosenläden und Pelzhändler priesen ihre Waren an.Und eine 29-jährige Pfälzerin (Telefonistin) mit zwei kleinen Söhnen suchte ganz dringend einen Mann. Amerikanischer Soldat sollte er sein – und in Deutschland stationiert. Aber: bitte nur seriöse Angebote!
Die Bedenken der jungen Frau kamen sicher nicht von ungefähr. War doch Kaiserslautern zu dieser Zeit eine der „verruchtesten“ Städte der Pfalz. Wegen der in der Region stationierten US-Soldaten und den begehrten Dollars blühte das Rotlichtmilieu. Fast in jeder Ausgabe finden sich entsprechende Berichte: über Razzien in Clubs, Kneipenschlägereien, geprellte Freier oder auch französische Prostituierte, die verhaftet und in die Heimat angeschoben wurden. „Sin City“ (Stadt der Sünde) wurde Kaiserslautern genannt. Der zweifelhafte Ruf drang bis auf die andere Seite des Atlantiks, wo sich Bischof Yaeger aus New Jersey zunehmend Sorgen um die Moral seiner in der Pfalz stationierten Landsleute machte. Prostitution verderbe die Jugend,warnte er in einem Brief, und beklagte die große Anzahl unehelicher Kinder in der Stadt (Ausgabe vom 17. März).
Ab 28. April 1955 hieß das Blatt „Rhinepfalz Observer“. Kaps machte weiter fleißig Werbung bei amerikanischen Frauenkränzchen, und die deutschen Anzeigenwerber hatten sich inzwischen – so der leitende Redakteur – bestens auf die US-Kundschaft eingestellt. Es hätte alles so schön sein können,wären da nicht die Dauerprobleme mit dem Vertrieb gewesen. Offiziell durfte nämlich nur die Soldatenzeitung „Stars and Stripes“ in den Kasernen, Depots und Wohnsiedlungen der Amerikaner verteilt werden. Somit wurden die Austräger des „Observer“ regelmäßig von der Militärpolizei verhaftet – wenn auch augenzwinkernd, und immer erst, nachdem alle Exemplare verteilt worden waren, berichtet Kaps in seinen Erinnerungen. Er habe die Kollegen unverzüglich ausgelöst, sobald er von den Militärpolizisten benachrichtigt worden sei.
Doch je erfolgreicher das deutsche Blatt wurde, umso größer auch der Ärger in Darmstadt. Dort saßen nämlich die Verantwortlichen der „Stars und Stripes“. Diese pochten auf ihr Monopol und ließen sich auch nicht erweichen, als Kaps und RHEINPFALZ-Vertriebschef Arthur Lenk vorstellig wurden und für Zusammenarbeit warben. Der Vorschlag, die Vertriebsorganisation von „Stars and Stripes“ könne das Ausliefern des „Rhinepfalz Observer“ übernehmen, wurde rundweg abgelehnt. Und es kam noch schlimmer: Auf Weisung aus Darmstadt wurden die Träger nun schon zu Beginn ihrer Runden festgenommen.
Obwohl unterdessen auch US-Dienststellen in Baumholder, Zweibrücken, Pirmasens und Bad Kreuznach Interesse an der Zeitung hatten und viele hohe Offiziere aus Kaiserslautern und Umgebung ihre Unterstützung für das Projekt bekundeten, sah sich die RHEINPFALZ gezwungen, das Erscheinen des „Rhinepfalz Observer“ einzustellen.
Am 29. September 1955, am 10. Geburtstag der RHEINPFALZ, erschien die letzte Ausgabe. Paul Kaps und sein Team mussten sich schweren Herzens von ihren rund 3000 Abonnentinnen und Abonnenten verabschieden. VON ANNETTE WEBER