Eigentlich muss der Besucher der ungemein reichen Ausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“ sich entscheiden, ob er das verlockende Angebot eines kurzweiligen und erkenntnisreichen multimedialen Geschichtsunterrichts annimmt oder sich, auf seine Schulgeschichtskenntnisse, auf die gründliche Inspektion der schönsten Schaustücke konzentriert. Mit beidem ist er eine gute anderthalbe Stunde beschäftigt, und mehr ist mit dem Coronalatz vor Mund und Nase kaum zu leisten – bei aller Faszination, die die fremde Welt des Mittelalters von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa auszuüben vermag, wenn ihre Hinterlassenschaft so hübsch und effektvoll leuchtend gezeigt wird wie in Mainz. Denn es sind natürlich die schönsten Stücke, die man über die Jahrhunderte aufbewahrt hat.
Selbstredend gibt es, wenn auch in Nachbildung, das karolingische Miniaturreiterstandbild aus dem Louvre, das das 19. Jahrhundert als Porträt Karls des Großen deutete, aber wahrscheinlich zwei Generationen jünger ist. Und es fehlt auch nicht der berühmte,mit großen Augen eindringlich in die Welt blickende Goldkopf aus Cappenberg, in dem man Barbarossa erkennen will. Am erstaunlichsten vielleicht: ein tausend Jahre altes Messgewand aus gelber, fein gemusterter Seide, tadellos erhalten, das bis 1945 in der Mainzer Stephanskirche alljährlich an einem bestimmten Festtag benutzt wurde und noch heute herrlich glänzt. Und, nicht zuletzt, die herrlichen Bücher, vom Ada-Evangeliar bis zur großen Heidelberger Liederhandschrift, die wenigstens eine Prachtseite in schwacher Beleuchtung offenbaren. Hier freut man sich über die moderne Technik: neben etlichen dieser Buchschätze lassen sich per Bildschirm mehrere der schönsten Seiten in passabel scharfer Auflösung genießen.
Aber man soll nicht nur schauen, sondern lernen. Entscheidende Epochen des Kaisertums werden exemplarisch beleuchtet, wobei man sich kaum für die die ältere Geschichtsschreibung dominierende Militärgeschichte interessiert. Im Fall Karls des Großen beispielsweise, den Papst Leo III. zu Weihnachten des Jahrs 800 in Rom zum ersten abendländischen Kaiser des Mittelalters krönte, liegt der Schwerpunkt auf den in der Tat enormen kaiserlichen Anstrengungen, das Kulturniveau des Reiches zu heben, antike Bildung neu zu beleben, die kirchlichen Texte zu verbessern und einheitlich zu verbreiten, mit anspruchsvollen Palastbauten oder Pfalzen an vielen Stellen des Reiches Herrschaft auszuüben. Dabei wird immer wieder der wichtige Rang der Städte am Rhein – Mainz, Worms, Speyer – als Zentralorte des Reichs herausgestellt und mit regionalen Exponaten fundiert. Nicht zu vergessen: die Einführung einer klaren, wohlgeformten Buchschrift, nach all dem kaum leserlichen merowingischen Gekritzel, von der wunderbarerweise die Kleinbuchstaben dieses Beitrags in direkter Linie abstammen. Roland Happersberger
INFO
»Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht« – bis 18.4.
Mainz, Landesmuseum, Di 10-20, Mi-So 10-17 Uhr
Tickets vorbestellen: gdke.ticketfritz.de