Zwei Jugendliche montierten am „Bedürfnishäuschen“ am Festplatz ein fünf Meter langes Abflussrohr ab. Eine Speyererin wurde angezeigt, weil sie sich „Kindernährmittel“ erschummeln wollte. Und einem Mädchen wurden beim Bäcker Lebensmittel-Bezugskarten gestohlen – womöglich war es ein kleines Drama für ihre Familie. Die RHEINPFALZ-Spaltemit den Nachrichten aus der Domstadt erinnert daran, dass es ganz andere Zeiten waren im Mai 1947, also vor genau 75 Jahren.Doch es wurde auch über Ereignisse berichtet, die noch heute eine Rolle spielen könnten: der Festgottesdienst im Dom, das Pfingstrennen des Radfahrervereins Dudenhofen und Joseph Haydns „Jahreszeiten“, dargeboten vom Mozartchor. Für die Besprechung des letztgenannten Kulturgenusses zeichnete übrigens Rudolf Joeckle verantwortlich, ein Speyerer, der über Jahrzehnte zu den renommiertesten RHEINPFALZ-Journalisten zählen sollte.
Das Erschummeln von Nahrungsmittel ist der Aufreger der Anfangsjahre. Später gibt es ganze Sonderseiten über die Besuche von Staatsgästen im Dom, heute längst auch Videos über die Publikumsmagnete in Speyer. So ist aus kleinen Anfängen die „Speyerer Rundschau“ entstanden.
Stadtwappen im Blatt
Ende April 1947 ist im Verlagsarchiv als Starttermin für eine Speyerer Lokalausgabe der gerade einmal knapp zwei Jahre alten RHEINPFALZ überliefert. Erhältlich war die Zeitung in der Domstadt seit dem 29. September 1945, schon in ihrer zweiten Ausgabe hatte es erste Speyerer Lokalnachrichten gegeben. Im Frühjahr 1947wird die erste Lokalredaktion Speyer gegründet und sorgt für schleichende Veränderungen im Blatt. So stehen die Meldungen über Speyerer Abflussrohr-Diebe und Konsorten im Mai auf einmal nicht mehr gleichrangig im „Heimatspiegel“ neben denen aus Neustadt oder Landau. Sie sind fein säuberlich unter einem Speyerer Stadtwappen gruppiert.
Das Wichtigste von den Nachbarn an der Haardt wandert verkürzt in die Rubrik „Zwischen Rhein und Saar“. In den anderen Städten ist es umgekehrt. Die in den Landkreisen Ludwigshafen, Speyer, Neustadt, Frankenthal, Kirchheimbolanden, Landau und Bergzabern gestartete RHEINPFALZ gibt es nun in der gesamten Pfalz. Ab 1948 erscheint sie nicht mehr zweimal pro Woche, sondern dreimal mit überwiegend vier, später meist sechs Seiten Umfang.
1948 wird im Titelkopf erstmals ein Sitz der Speyerer Lokalredaktion– in der Roßmarktstraße 6 – ausgewiesen. Ein Jahr später rückt unter die Titelzeile der Name der Lokalausgabe, damals „Speyerer neueste Nachrichten“. Das Angebot aus der Domstadt wächst weiter. Fotos in der Zeitung gibt’s damals nicht. Als 1947 der Tod des nahezu drei Jahrzehnte amtierenden Oberbürgermeisters Karl Leiling zu beklagen ist, müssen 24 knappe Zeilen reichen. Es reicht immerhin zur Würdigung, dass die Speyerer einen „nimmermüde sorgenden Gemeindevater“ verloren hätten.
Die Trennung von Nachricht und Meinung wurde noch nicht so konsequent eingehalten wie heute. Die Sprache war bildreich. In der Ankündigung des Sommertagszugs – damals vom St.-Guido-Stift zum Festplatz – wurde etwa kommentiert: „Wollen wir sehnlichst hoffen, dass er in diesem Jahr nicht wieder in einem Meer von Wasser und Tränen zerfließen möge.“
Weltweit im Blickpunkt
Die RHEINPFALZ begleitete die Entwicklung der im Zweiten Weltkrieg nicht so stark wie andere zerstörten Stadt. Dauerthema in den 1960/70er-Jahren war das Wachstum um neue Wohn- und Industriegebiete.
In der Stadt berührten sich seit jeher kleine und große Politik. Die Oberbürgermeister in der Amtszeit von Bundeskanzler Helmut Kohl trugen stolz die Amtskette zur Schau, als Staats- und Regierungschefs dem Dom ihre Aufwartung machten. 1987 feierte der damalige Papst Johannes Paul II. eine Messe vor der Kathedrale. Für Klaus Landry, der bis heute für die Fotoagentur Lenz unterwegs ist, war das der Start als RHEINPFALZ-Mitarbeiter. Die Redaktion der heutigen „Speyerer Rundschau“ ist nach mehreren Umzügen in der Heydenreichstraße 8 angekommen. Sie freut sich, wenn die Pandemie nun das Leben nicht mehr auf für Speyer so ungewohnte Weise einschränkt. PATRICK SEILER