„Es gibt viele Gründe, warum manche Kinder schneller von Reizen überfordert sind, als andere“, sagt Sabine Metz, Diplom-Psychologin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Westpfalz-Klinikum in Kaiserslautern. Unabhängig von der Diagnose, die der sogenannten „Reizoffenheit“ zugrunde liegt, kann das Weihnachtsfest mit seiner Vielzahl von Reizen und Veränderungen im Tagesablauf die Bedürfnisse und Grenzen von Familien mit neurodivergenten Kindern überschreiten und zur Überstimulation der Kinder beitragen. „Dazu kommt, dass viele Eltern versuchen, den hohen gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden, die das Fest mit sich bringt. Metz empfiehlt, sich von einem unrealistischen Bilderbuchidyll zu verabschieden. „Es ist wichtig, eigene Prioritäten zu setzen, die die Bedürfnisse aller Familienmitglieder berücksichtigen“, so Metz.
Erwartungsdruck senken
Am Weihnachtsabend sollte keine Hektik aufkommen. Statt Erledigungen in letzter Minute vorzunehmen, solle man für Ruhe und Entspannung sorgen. Lieber verzichte man auf das, was nicht wirklich wichtig ist. Das könne bedeuten, das üppige Festtagsmenü zugunsten eines in Ruhe geschmückten Weihnachtsbaums zu reduzieren. Hilfreich sei es auch, rechtzeitig mit den Kindern über Geschenkwünsche zu sprechen, damit es am Weihnachtsabend nicht zu Enttäuschungen kommt. „Man sollte die Kinder rechtzeitig einbeziehen und den Erwartungsdruck niedrig halten“, rät Metz. Hilfreich könne es auch sein, Verwandtenbesuche zu beschränken und zu bedenken, dass lange Autofahrten für reizoffene Kinder besonders anstrengend sind. „Als Familie mit neurodivergenten Kindern sieht man sich oft mit Leistungsdruck und Versagensängsten konfrontiert. Davon sollte man sich unbedingt verabschieden und sich nicht mit anderen vergleichen. Man sollte - besonders zu Weihnachten - den positiven Blick bewahren, das, was gut war, genießen und es den Kindern greifbar machen. Vor allem sollte man nicht pauschalisieren: Auch wenn zwischendurch etwas nicht gut lief, heißt das nicht, dass Weihnachten nicht gut war“, so Metz.
Auch Sarah Morgenstern von der Autismusberatung des Ökumenischen Gemeinschaftswerkes kennt die Problematik der Reizüberflutung an Weihnachten. „Weihnachten kann für autistische Menschen eine besonders herausfordernde Zeit sein“, sagt die Sozialarbeiterin. Die Vielzahl von Reizen - wie Geräusche, Lichter und Menschenmengen, die vom Hirn gleichzeitig verarbeitet werden müssen, könne zu einer Überforderung und Reizüberflutung führen. Da autistische Menschen stark auf gewohnte Abläufe angewiesen sind, stellt die Abweichung von den gewohnten Alltagsroutinen während der Festtage für sie eine große Verunsicherung dar.
Gelegenheiten zum Rückzug schaffen
„Deshalb ist es wichtig, den Ablauf der Feiertage im Vorfeld genau zu besprechen. Je mehr Informationen im Voraus gegeben werden, desto besser können Betroffene sich auf die Situation einstellen," so Morgenstern. Bei Familienfeiern sei das Fehlen von Rückzugsorten nicht selten problematisch. „Eltern sollten deshalb darauf achten, dass die Betroffenen sich zurückziehen können und dort auch wirklich in Ruhe gelassen werden“, empfiehlt sie. Ein weiteres Thema ist das Essen: Besonders zu Weihnachten, wenn traditionelle Gerichte serviert werden, können Gerüche und Texturen der Speisen zu einer zusätzlichen Belastung führen. Eine vorherige Absprache, welche Speisen angeboten werden, sei wichtig.
"Kommunikation ist definitiv der Schlüssel zu einem gelungenen Fest“, so die Sozialarbeiterin. Sie empfiehlt, dass Familienmitglieder offen über die Grenzen und Bedürfnisse sprechen, um eine harmonische Atmosphäre zu schaffen. mide