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Den Klimawandel aufzuhalten und die Umwelt zu schützen erhält derzeit in Gesellschaft und Politik große Aufmerksamkeit. Anreize, sich regional intensiv damit zu beschäftigen, sollen durch Information und Förderung geschaffen werden. In Neustadt arbeiten zwei Klimaschutzmanager daran, die Klimabilanz der Stadt zu verbessern.
Herr Schwill, Neustadt beschäftigt mit Ihnen im Bereich „Landwirtschaft und Umwelt“ und Ihrem Kollegen Andreas Faßbender vom Gebäudemanagement gleich zwei Klimaschutzmanager. Ist Neustadt ein besonders großer Umweltsünder?
Marcel Schwill: (lacht) Zwei Klimaschutzmanager sind tatsächlich ein Novum, allerdings gibt es in anderen Städten Energiemanager. Ich sehe Neustadt nach der CO2-Bilanz seines Klimaschutzkonzepts nur im Mittelfeld der Umweltsünder. Die Verwaltung hat schon früh begonnen, den Fuhrpark auf E-Fahrzeuge umzurüsten und das Beschaffungswesen umweltfreundlicher zu gestalten. Aber um letztlich „klimaneutral“ zu werden,muss noch einiges passieren. Unser Anspruch sollte sogar höher liegen und Klimapositivität als Ziel anstreben.
Wie sind Sie Klimaschutzmanager geworden?
Ich habe den Bachelor in Betriebswirtschaft an der Leuphana Uni abgeschlossen, wo nachhaltige Entwicklung mein favorisiertes Thema war. Dann folgte der Master in Nachhaltigkeitswissenschaft. Seit 2018 arbeite ich nun bei der Stadtverwaltung, zunächst auf drei Jahre befristet, verlängerbar auf fünf. Zurzeit fördert das Bundesumweltministerium unsere Arbeit zu 65 Prozent. Aber wir denken, dass die Stadt uns dank langfristiger Zielsetzung auch darüber hinaus beschäftigen wird.
Mit welchen Projekten lässt sich denn Klimamanagen, wird Neustadt vorangebracht?
Wir haben eine Klimaschutzdachmarke „Handeln statt Klima wandeln“ durch einen Schulwettbewerb entwickelt, die Webseite „klimaschutz.neustadt.eu“ erstellt und ein Solarkataster eingeführt, durch das Hauseigentümer ihre Dächer auf Solartauglichkeit prüfen können. Weitergeführt wird das Projekt, unwirtschaftliche Straßenbeleuchtung auf LED umzurüsten. Außerdem organisiere ich Klimaschutzbildung für Schulen und Kitas durch externe Anbieter. „Stadtradeln“ ist eine sehr erfolgreiche Kampagne geworden, und die coronabedingt aufgeschobene „Energiekarawane“ soll sich bald in Bewegung setzen. Energieberater der Energieagentur Rheinland-Pfalz spüren hier Einsparpotenziale in Unternehmen auf. Ich bin im Arbeitskreis Radverkehr, der Projektgruppe Landesgartenschau 2026 und will mit Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel am 10. September (Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde vor diesem Datum geführt) im Saalbau eine Nachhaltigkeitsstrategie für unsere Stadt entwickeln. Zudem führe ich die CO2-Bilanzierung fort und bereite eine Klimakonferenz vor. Das Ziel ist eine Stadt, in der im gesunden und klimapositiven Umfeld gelebt werden kann und wo unsere wirtschaftlichen und sozialen Systeme im Einklang mit der ökologischen Tragfähigkeit des Planeten mit Mehrwert für alle stehen.
Was tun Sie ganz persönlich für den Umweltschutz, das Vorbild sein könnte?
Ich verzichte beispielsweise auf ein Auto, nutze die öffentlichen Verkehrsmittel, Leihfahrräder wie Nextbike oder gehe zu Fuß und habe einen grünen Stromanbieter. Darüber hinaus kaufe ich Biolebensmittel und langlebige Konsumgüter.
Wirksamer Klimaschutz lebt von Einsicht und Gemeinschaft. Was machen Sie, wenn die fehlen?
Oft weiß man, was richtig wäre, handelt aber falsch. Alle kann man nicht mitnehmen.Wichtig ist aber, die Diskussion zu suchen und starke, positive Emotionen mit Geschichten zu wecken, die mitreißender als rationale Argumente sind. Mit gutem Beispiel voranzugehen, sich mit weiteren Akteuren zusammenzuschließen und zu motivieren ist wichtig, damit sich Umweltschutz durchsetzt.
Ein Kritikpunkt an regionalen Schutzmaßnahmen ist, dass sie Umweltprobleme durch etwa überregionale Großindustrie und Überbevölkerung nicht lösen. Wie sehen Sie das?
Das ist für mich eine scheinheilige Ausrede dafür, nichts tun zu müssen. Regionales Handeln verhindert doch nicht, dass die Welt gerettet wird. Umgekehrt wird doch ein Schuh draus. Nur weil im Kleinen endlich mal etwas angegangen wird, kommen wir voran. Wir müssen weg von der Denkweise, dass wir Menschen schädlich sind, und in Lösungen denken. Der Mensch ist extrem kreativ. Da ist viel Potenzial, das entfaltet werden kann, um beispielsweise CO2-freie Energie zu nutzen, gesunde und kreislauffähige Produkte herzustellen, eine Landwirtschaft zu betreiben, die Böden verbessert, anstatt sie zu zerstören. Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen. Wir haben Fehler gemacht, sie nun aber erkannt. Also gestalten wir die Dinge neu.
Glauben Sie, der Umweltschutz wird durch die Corona-Krise beeinflusst?
Ja, aber es ist schwierig, abzusehen, ob sich positive Aspekte wie etwa die Weiterentwicklung des Homeoffice und Reorganisation von Lieferketten durchsetzen werden. Ich sehe die Entwicklung sehr kritisch. Umweltschutz und die Bewältigung der Klimakrise fallen immer wieder vermeintlich „aktuell wichtigeren Dingen“ zum Opfer. Dabei sollten sie nicht als moralische Aufgabe gesehen werden. Klimaschutz macht Sinn – auch ökonomisch. Erneuerbare Energien sind oftmals schon jetzt deutlich günstiger als konventionelle Kraftwerke. Gebäude können als gesunde Rohstofflager geplant werden, durch die ganz neue Finanzierungskonzepte möglich sind und sich dauerhaft Personalkosten einsparen lassen. LED-Beleuchtung refinanziert sich schon ab unter fünf Jahren. „Die Umwelt, das Klima“ dürfen nicht abstrakt bleiben.
Welchen Wunsch hätten Sie für Ihre Arbeit in Neustadt?
Dass wir offensiv in Lösungen denken. Nicht die Dinge blockieren mit „das geht nicht, weil…“, sondern gemeinsam nach kreativen Lösungen suchen, um die Dinge doch noch umzusetzen – sei es wie wir klimapositive Städte planen, Gebäude bauen, Mobilität gestalten oder Landwirtschaft betreiben. INTERVIEW: ANKE WANGER