Dass Ägyptens griechisch-mazedonische Herrscher der hellenistischen Epoche (323 bis 31 v. Chr.) allesamt nach ihrem Stammvater, einem General Alexanders des Großen, Ptolemaios hießen, führt leicht zu Verwirrung. Und das sogar in der Welt der Oper. So hat etwa jener „Tolomeo“ (italienisch für Ptolemaios), den die kommenden Karlsruher Händel-Festspiele aus der Versenkung der Musikgeschichte holen, nichts zu tun mit jenem gleichnamigen Bruder der Kleopatra, der in Händels „Giulio Cesare“ sein intrigantes Unwesen treibt. Der ptolemäische Titelheld dieser 1728 und damit vier Jahre nach „Giulio Cesare“ uraufgeführten Händel-Oper ist vielmehr ein paar Ptolemäer-Generationen älter und selbst das Opfer einer Intrige. Von seiner fiesen Mutter, die Ägypten lieber zusammen mit ihrem jüngeren Sohn Alessandro regieren will, wurde Tolomeo sowohl seines Thrones als auch seiner Verlobten Seleuce beraubt. Nun sitzt er verzweifelt am Strand von Zypern und will seinem Leben ein Ende bereiten, als just ein Schiffbrüchiger angespült wird. Tolomeo zieht ihn an Land, nur, um in dem Bewusstlosen den verhassten Bruder Alessandro erkennen zu müssen. Doch statt sich zu rächen, lässt er Gnade walten. Kompliziert wird die Lage, wie so oft, durch die Liebe. Denn auch, wenn sich Tolomeo auf Zypern als einfacher Hirte ausgibt, hat doch bereits Elisa, die Schwester des zypriotischen Königs Araspe, ein Auge auf ihn geworfen. Gleichzeitig taucht Seleuce, auch sie als Hirtin getarnt, auf der Insel auf, um nach dem Verlobten zu fahnden. Prompt wird die vorgebliche Schäferin von Araspe begehrt, während sich Alessandro in Elisa verknallt: Bei so viel libidinösem Wirrwarr wird es ein weiter Weg bis zum finalen Happy End.
In die Titelrolle, die Händel ursprünglich für den Mezzosopran-Kastraten Senesino konzipierte, schlüpft in Karlsruhe ein junger Countertenor, der wie kein anderer Vertreter seines Stimmfachs derzeit Furoremacht: Jakub Józef Orlinski. Der 1990 geborene Pole, der als passionierter Breakdancer auch eine starke physische Präsenz für die Bühne mitbringt, hat mit dem Album„Facce d’amore“ gerade einen frappierend schönen Beweis seiner sängerischen Fähigkeiten vorgelegt, der große Lust darauf macht, Orlinski auch als Tolomeo zu hören und zu erleben. Zumal Händel den gestürzten Pharao mit sehr expressiven, empfindsam-pathetischen Gesängen bedachte. Inszeniert wird „Tolomeo“ in Karlsruhe von Benjamin Lazar, der als Spezialist für barockes Musiktheater gilt.
Auch im übrigen Programm der Festspiele sind renommierte Countertenöre am Start: David Hansen und Max Emanuel Cencic singen die zentralen Partien in der Wiederaufnahme von Händels „Serse“; die schrille Inszenierung, die den Perserkönig zu einer Art Hollywood-Entertainer à la Liberace stilisiert, stammt von Cencic selbst. Und Valer Sabadus interpretiert im Galakonzert Arien nicht nur von Händel, sondern auch von Vivaldi, Bononcini, Conti und Caldara (Sa 15.2., 19 Uhr). kai
INFO
43. Internationale Händel-Festspiele: 14.2. bis 28.2.20, Karlsruhe, Badisches Staatstheater
Premiere „Tolomeo“: Fr 14.2., 19 Uhr
„Serse“ ab Fr 21.2., 19 Uhr
Karten: 0721 933333
www.staatstheater.karlsruhe.de
Vergessene deutsche »Alceste«
Barock II: »Winter in Schwetzingen« mit Opern-Ausgrabung
Erst beackerte man Antonio Vivaldis Opernschaffen. Dann wurden systematisch Raritäten der „Neapolitanischen Schule“ exhumiert – und fortan soll der „Winter in Schwetzingen“, das Barockfest des Theaters Heidelberg, bis auf Weiteres der deutschen Barockoper gewidmet sein.
Die erste Ausgrabung ist „Die getreue Alceste“ von Georg Caspar Schürmann (1672-1751), einem gründlich vergessenen Komponisten, der vor allem am Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel und in Hamburg wirkte. Mit der „Alceste“ wählte Schürmann 1719 einen Stoff der antiken Mythologie, den vor ihm bereits Lully gestaltet hatte und nach ihm auch Händel und Gluck aufgriffen. Dabei geht es um ein Musterbeispiel der Gattenliebe und der Selbstaufopferung: Um ihren moribunden Gemahl Admetus ins Leben zurückzuholen, ist Alceste (griech. Alkestis) bereit, ihr eigenes Leben hinzugeben ...
Eine Besonderheit von Schürmanns Oper soll die Partie des Admetus sein. Deren Stimmumfang setzt nämlich einen Sänger voraus, der nicht nur in Alt-Lage falsettieren, sondern auch in Tenor-Register hinabsteigen kann. Dieser Herausforderung stellt sich in Schwetzingen der junge britische Countertenor Rupert Enticknap. kai
INFO
Winter in Schwetzingen: 1.12.19 bis 31.1.20, Schwetzingen, Schloss, Rokokotheater
Premiere »Die getreue Alceste« So 1.12., 18 Uhr
Karten: 06221 5820000
Gesamtprogramm: www.winter-in-schwetzingen.de