Bleiches Gesicht, weit aufgerissene Augen, panischer Blick: Der Polizist mit der Wumme, die eher an eine Wasserspritzpistole erinnert, schaut leicht überfordert aus der Cartoon-Welt, die auf dem Titelbild von „Street Cop" ohnehin ziemlich aus den Fugen scheint.
Das Büchlein fällt auf, so klein im Format, so knallbunt. Ein Comic? Ja und nein. Der unverwechselbare Strich von Cartoon-Meister Art Spiegelman prägt das Buch mit seinen subversiven Illustrationen, auch die Erzählung Robert Coovers hat in ihrer Überspitzung comichafte Züge. „Street Cop" ist aber eher ein hartes Stück dystopische Literatur, in dem ein etwas tumber Cop durch eine Art Gotham City 5.0 taumelt und nach Halt in einer Welt sucht, in der auch Big Brother die Fäden verlieren würde.
Es ist eine völlig entmenschlichte Welt, in der ein aus der Zeit gefallener Street Cop über Leichen von Menschen stolpert, die so beiläufig ermordet wurden wie man sie beiläufig entsorgt, in der Robot-Cops die Effizienz steigern und fliegende Polizeiautos im Chromputz vergangener Epochen autonom auf Verbrecherjagd gehen. Eine KI namens Elektra lotst den latent in sie verliebten Nostalgie-Cop durch maximale Unordnung und Sinnlosigkeit: Sex beim Sturz aus einem Wolkenkratzer ist der im wahrsten Wortsinn ultimative Kick. Aus Leichenteilen zusammengerührte Zombies werden als Haustiere verhökert, und dank 3-D-Druck und wandernder Häuser ändert die Stadt nahezu permanent ihren Zuschnitt. Unser Cop indes, der noch den Szenerien Chandlers und Hammets nachhängt, scheitert daran, sich tagesaktuelle Straßenkarten herunterzuladen und irrt daher umso mehr durch ein kaltes digitales Chaos. Bezeichnend: Das einzige herzerwärmende Wort - ein verzerrtes ,,Ich liebe dich" - hört er von dem Zombie, den ihm der Chef einer Zoohandlung als Haustier aufgeschwatzt hat. Er hört es in dem Moment, als das untote Vieh gerade von einem vorbeidonnernden Auto überrollt wird. Bald selbst auf der Flucht, kommt ihm ein Verdacht, warum er überhaupt noch als Street Cop gebraucht wird ...
Starker Tobak, alptraumhaft. „Das Vergangene ist tot, es ist einfach vergangen. Kaum etwas hat überdauert, nur diese armen Zombies. Die Zukunft endet nicht nur in einer Katastrophe, die Zukunft ist die Katastrophe", liest man und versteht: Hier gibt nicht mehr das Leben den Ton an.
Für dieses Szenario hat sich ein erlesenes Duo zusammengetan. Art Spiegelman, der Illustrator, ist einer der angesehensten Comic-Künstler der USA, Pulitzer-Preisträger für seine Graphic-Novel ,,Maus" über die Holocaust-Erinnerungen seines Vaters. Robert Coover, inzwischen 91 Jahre alt und Autor vieler experimenteller Werke, wurde bekannt für seinen Polit-Roman „Die öffentliche Verbrennung" (1977) über die zweifelhafte Verurteilung der mutmaßlichen Atom-Spione Ethel und Julius Rosenberg, erzählt aus der Perspektive von Richard Nixon. Beide geben ihrer Story im Anhang ein sehr erhellendes Gespräch mit über ihre Gedanken zu der gemeinsamen Arbeit und deren Verortung, worin auch der Humor als „Seiteneingang" und Durchbruchscode gegen verfestigte Denkmuster betont wird.
„Street Cop" ist bizarr, zynisch, nichts für sanfte Gemüter und Hüter des guten Geschmacks, aber lohnende Lektüre, denn wie jede Dystopie ist auch diese weniger Science Fiction, als ein - hier besonders krasser - Zerrspiegel ihrer Gegenwart. Thomas Behnke
INFO
Robert Coover/Art Spiegelman: "Street Cop", übersetzt von Clemens Meyer, S. Fischer 2023, 131 S., 22 Euro