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75 Jahre Lokalredaktion - Zweibruecken

Nachts um halb eins geht’s los

Es könnte eine Rechenaufgabe aus der Grundschule sein: Frau Klensch läuft sechsmal die Woche jeweils 13 Kilometer am Tag. Das macht sie seit 27 Jahren. Wie viele Kilometer ist Frau Klensch schon gelaufen? Und warum läuft sie eigentlich so viel?

Nachts um halb eins geht’s los

Arbeiten, wenn andere schlafen: Ilse Klenschs Arbeitstag beginnt Mitten in der Nacht – und endet meist gegen vier Uhr morgens. FOTO: MOSCHE

Die zweite Frage ist schnell beantwortet: Ilse Klensch ist eine der dienstältesten RHEINPFALZ-Zustellerinnen in Zweibrücken. Und muss seit 27 Jahren keinen Sport treiben, weil sie jede Nacht eben jene 13 Kilometer durch den Stadtteil Ixheim läuft, um dort die Zweibrücker Rundschau in die Briefkästen und Zeitungsrohre zu stecken. „Da bewege ich mich genug“, sagt die 64-Jährige, die immer dann arbeitet, wenn die Stadt im Tiefschlaf liegt.Nachts um halb eins fährt sie los, mit dem Auto zum Hilgardcenter in der Innenstadt, wo der Fahrer aus dem Druckzentrum Oggersheim mit dem Transporter die druckfrischen Zeitungen anliefert. Ilse Klensch nimmt ihre Charge entgegen, fährt zurück nach Ixheim und läuft dort gegen halb zwei Uhr los, durch die Ixheimer Straße und das so genannte Vogelviertel, in dem die Straßen nach Vogelarten benannt sind. Wo was eingesteckt wird, weiß sie aus dem Effeff, sommers wie winters geht sie ihre Runde, das dauert jeweils so zweieinhalb Stunden. Gegen 4 Uhr ist Feierabend.

Es könnte eine Rechenaufgabe aus der Grundschule sein: Frau Klensch läuft sechsmal die Woche jeweils 13 Kilometer am Tag. Das macht sie seit 27 Jahren. Wie viele Kilometer ist Frau Klensch schon gelaufen? Und warum läuft sie eigentlich so viel?

„Dann schlafe ich noch mal, so bis um 8 Uhr meistens“, erzählt die Austrägerin. Und sonst? Vier Stunden Schlaf täglich reichen ja nun nicht. „Nein“, lacht sie, „ich gehe jeden Tag um 21 Uhr ins Bett und stehe um Mitternacht wieder auf.“ Und das ist genug Schlaf? „Es muss reichen“, sagt die 64-Jährige. Sie habe in 27 Jahren ja Zeit gehabt, sich an den ungewöhnlichen Tag-Nacht-Rhythmus zu gewöhnen.

Als Austrägerin angefangen habe sie Mitte der 90er Jahre, weil sie damals kleine Kinder hatte. Ihr Lebensgefährte sei arbeitslos gewesen, und der Nachtjob habe für sie ganz gut gepasst, weil die Kinder da schliefen. „In dieser Zeit war nix mit nach der Arbeit noch mal hinlegen.“ Sechs Kinder habe sie großgezogen, plus RHEINPFALZ austragen sei das schon eine anstrengende Zeit gewesen. „Aber ich hab’s hinbekommen“, sagt Ilse Klensch nicht ohne Stolz.

Inzwischen lebe sie alleine, eine Tochter und ein Enkelkind wohnen direkt über ihr. Dass sie nicht mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeitet, stört sie nicht. „Ich habe ganz gerne meine Ruhe“, und oft genieße sie die stillen Nachtstunden, bei denen sie sehr selten jemandem begegnet. „Das passiert höchstens am Wochenende, wenn die Nachtschwärmer nach Hause gehen.“ Da kämen ihr schon mal ausgelassene Feierwütige entgegen, meist jung, beschwipst und singend. „Die waren aber bisher immer lieb und friedlich“, freut sich die Austrägerin.

Auch auf ihre Kundschaft lässt sie nichts kommen, „die sind alle sehr nett, denken zum Beispiel an Weihnachten immer an mich, stellen mir was vor die Tür, bringen es persönlich vorbei oder rufen mich an, um mir schöne Feiertage zu wünschen.“ Sie würde den Job immer wieder machen, versichert sie, er sei ihr ans Herz gewachsen, „und ich bin täglich an der frischen Luft“. Wenn’s kalt ist und regnet halt auch, aber auch dann ziehe sie ohne Groll die Regenjacke und wasserdichte Schuhe an und laufe los, Nacht für Nacht. Und die RHEINPFALZ-Weste? „Ist eher eine Schwimmweste, in der schwimme ich, sie ist mir viel zu groß“, lacht Ilse Klensch.

Ein Erlebnis aus den 27 Jahren ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: „Ich lief mal gedankenverloren meine Runde, als plötzlich aus dem Dunkel ein Mann in Unterhose vor mir auftauchte. Wir sind beide fürchterlich erschrocken.“ Es stellte sich heraus, dass der Mann mitten in der Nacht einen Wasserrohrbruch hatte, nun draußen nach dem Rechten sah und in der Eile vergessen hatte, was anzuziehen. „Als der erste Schock vor bei war, mussten wir beide laut lachen“, so Klensch.

Und, weiß inzwischen jemand, wie viele Kilometer Ilse Klensch schon gelaufen ist? 109.512 sind es. Okay, Urlaub und Krankheitstage muss man abziehen. Aber dennoch: eine reife Leistung, fast dreimal die Erde umrundet!

Noch eineinhalb Jahre will Ilse Klensch arbeiten, bevor sie in die wohlverdiente Rente geht. Bis dahin kriegt sie die dritte Erdumrundung noch voll. SIGRID SEBALD