Der Senior-Verleger erinnert sich noch gut an Camille Flunkert. Dieter Schaub war damals ein Kind und wurde von seinem Vater Josef häufig zu den Treffen mit den vier anderen RHEINPFALZ-Gründern mitgenommen. Auch der französische Presseoffizier sei oft dabei gewesen, habe mitgegessen, mitgetrunken und mitgefeiert. Und wenn man sich bei Flunkert daheim in Haßloch traf, da wusste der kleine Dieter ganz genau, in welcher Schublade die Schokolade lag. Und auch für Volker Lenk, langjähriger RHEINPFALZ-Geschäftsführer, ist der Presseoffizier Flunkert heute noch präsent. Sein Vater Arthur, einer der Gründer des Verlags, habe immer viel von ihm erzählt. Wie eng und freundschaftlich die Beziehung zwischen Zensor und Redaktion war, zeigt die Tatsache, dass sich Flunkert des Öfteren schützend vor das RHEINPFALZ-Team stellte. Belegt ist unter anderem die Drohung der Militärregierung mit Strafmaßnahmen, nachdem die Redaktion am 5. Februar 1947 berichtet hatte, in Indochina sei eine Frontlinie der Franzosen durchbrochen worden und es mangele an Verpflegung und Munition. Das schien den Verantwortlichen in Baden-Baden dann zu viel der Pressefreiheit, kam das französische Militär in dem Artikel doch nicht sonderlich gut weg. Daraufhin übernahm Presseoffizier Flunkert persönlich die Verantwortung für die Veröffentlichung: Er habe von dem Beitrag gewusst und ihn abgesegnet, erklärte er. So konnte das Schlimmste – eine Kürzung oder gar die Einstellung der Papierzuteilung – abgewendet werden.
Nur ein Vierteljahr später musste Flunkert allerdings gehen. Er wurde nach Mainz versetzt, zur „Allgemeinen Zeitung“. Er war wohl zu gut Freund mit denen geworden, die er überwachen sollte, mutmaßte RHEINPFALZ-Redakteur Paul Kaps 1979 in seinen Erinnerungen.
Zum Abschied gab es im Mai 1947 einen RHEINPFALZ-Sonderdruck für den französischen Freund. „Flunkereien“ nannten die Redakteure das kleine Heft, eine regelrechte Liebeserklärung in gereimter Form. Ein Exemplar hat bei der RHEINPFALZ überlebt. Es brachte uns auf die Spur des einstigen Presseoffiziers und führte uns schließlich zu weiteren Exemplaren. Die befinden sich im Besitz von Flunkerts Enkelin Céline Flunkert, die nur wenige Kilometer von der deutschfranzösischen Grenze entfernt im elsässischen Gambsheim lebt, und von Enkel Marc Flunkert, der in dem Weiler Gras bei Metz zu Hause ist – dort, wo auch Camille Flunkert bis zu seinem Tod im Jahr 1983 gelebt hat.
Und bei Marc Flunkert, der mit seinem Großvater aufgewachsen ist und für die RHEINPFALZ Unterlagen und alte Fotos gesichtet hat, nimmt Capitaine Flunkert als Mensch Gestalt an. Nun erklärt sich, wieso Opa Camille die Pfalz und die Pfälzer so mochte, warum er vom Zensor zum Freund Flunkert wurde.
Camille Flunkerts Vater war Deutscher, er stammte aus der Pfalz. Als Zöllner wurde er nach Metz versetzt, in den Jahren nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, als die Region auf einmal deutsch war. Er heiratete eine Französin aus Metz, 1903 wurde Camille geboren – als Deutscher. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die Region an Frankreich zurück. Camille Flunkert leistete seinen Wehrdienst bei der französischen Armee und wurde als Reserveoffizier in das Übersetzer-Corps aufgenommen. Schließlich sprach er neben Französisch auch noch fließend Deutsch – und sogar Englisch.
Und dann kam der Zweite Weltkrieg. Hitlers Truppen besetzten weite Teile Europas. Camille Flunkert wurde eingezogen, kämpfte für sein Vaterland Frankreich und geriet in Kriegsgefangenschaft. Festgenommen vom eigenen Schwager, einem Deutschen. In Weinsberg bei Heilbronn saß Flunkert Monate lang im Lager. Dass er auch dort seinen Humor nicht verlor, beweist eine Anekdote, von der Frédéric Flunkert, der in Paris lebende ältere Bruder Célines, berichtet. „Mein Großvater liebte das Gärtnern. Sogar im Gefangenenlager zog er Tomaten. Und als einer der deutschen Bewacher eines Tages fragte, wieso diese Tomaten denn so schön rot seien, antwortete mein Opa: ,Ich lasse jeden Morgen vor ihnen die Hosen runter.’“
Als Mitglied des Übersetzer-Corps der französischen Armee war Flunkert nach Kriegsende erste Wahl für den Posten eines Presseoffiziers. Und so führte ihn die wechselvolle deutsch-französische Geschichte in die Heimat seines Vaters zurück. Seine aus dem grenznahen St. Avold stammende Frau Elisabeth, eine geborene Wilhelm, nahm er mit nach Haßloch. Und zwei seiner Kinder: die 17-jährige Yvonne, die später einen US-Offizier heiraten und in die USA auswandern sollte, und den knapp vierjährigen Christian. Der Älteste, Robert, leistete zu der Zeit seinen Wehrdienst in Frankreich ab.
„Mein Opa war im Grunde seines Herzens Pazifist – und ein überzeugter Europäer“, erzählt Roberts Sohn Marc. Mit Robert Schuman, dem französischen Außenminister und Wegbereiter der deutsch-französischen Aussöhnung, habe Camille in Kontakt gestanden. Marc Flunkert vermutet, dass sein Großvater, der zuvor an der Börse in Metz tätig war, in seiner Zeit in der Pfalz mit dem „Virus des Journalismus“ angesteckt wurde. Zurückgekehrt in die Heimat, fing er nämlich an, für Zeitungen zu arbeiten: zuerst für „La Voix Lorraine“, dann für den „Courrier de Metz“ und schließlich für den „Republicain Lorrain“.
„Mein Großvater war ein sehr belesener und gebildeter Mann“, erinnert sich Marc Flunkert. „Ich sehe ihn heute noch in seinem Sessel sitzen, mit seinen schneeweißen Haaren. Wenn im Fernsehen Nachrichten kamen, war er völlig konzentriert. Dann durften wir uns nicht rühren. Politik war eine seiner Leidenschaften. Die andere war die Musik – klassische Musik.“ Über seine Zeit im Krieg und anschließend in Deutschland habe sein Großvater nie gesprochen. „Das tat kaum jemand in dieser Generation“, sagt Marc Flunkert. „Und uns hat es damals auch leider nicht interessiert.“
Dass sein Opa beim Aufbau des Pressewesens in der französischen Zone eine nicht ganz unwichtige Rolle spielte, das hat Marc Flunkert erst durch das RHEINPFALZ-Jubiläum erfahren. Nun bedauert er, dass sein Großvater das nie erwähnt hat. Schließlich sei es ein wichtiges Stück Familiengeschichte. VON ANNETTE WEBER