Eine Zeitung ist permanent im Umbruch. Aber es gibt Zeitabschnitte, da fallen die Brüche heftiger aus.Wie in jedem anderen Betrieb häufig dann, wenn die Belegschaft wechselt,wenn sich eine Generation allmählich verabschiedet und eine neue kommt. Anfang der 90er-Jahre, als der Schreiber dieser Zeilen aus Baden-Württemberg kommend zur RHEINPFALZ stieß, war so eine Umbruchzeit. Es gab damals viele frischgebackene Redakteurinnen und Redakteure der Geburtsjahrgänge 1958 bis 1963. Sie trafen auf Kollegen, die in den Wirren der Nachkriegsjahre groß geworden waren, die noch echte Entbehrungen kennengelernt und bewusst den Beginn der Zweiteilung der Welt in Ost und West miterlebt hatten. Im Politikressort der RHEINPFALZ hatten die älteren Kollegen den innerdeutschen Terror der Rote-Armee-Fraktion genauso kommentiert wie den Niedergang diverser Diktaturen in Europa oder den Ausgang des Sechs-Tage-Krieges in Israel.
Umweltpolitik ist zu Beginn der 90er ein Randthema
In diesem erlauchten Kreis also fand der damalige Jungredakteur aus Stuttgart Aufnahme. Verständnis für manche seiner Themen, über die er intensiv zu schreiben dachte, fand er nicht unbedingt. Umwelt – nun gut. Aber war der Himmel über Rhein und Ruhr inzwischen nicht wieder blau geworden? Giftige Schwaden, die manches Mal leider auch über Ludwigshafen und Mannheim zogen – war das nicht der Preis, den man eben für eine prosperierende (Chemie-)Industrie zahlen musste? Die Umwelt, das war in den Augen vieler Leser und Redakteurskollegen damals eher ein Randthema. Zwar hatten Bücher wie „Grenzen des Wachstums“ oder „Global 2000 – Bericht des Präsidenten“ (gemeint ist US-Staatschef Jimmy Carter, unter dessen Ägide Wissenschaftler einen umfassenden Welt-Zustandsbericht verfassten) bereits einigen Staub aufgewirbelt. Doch Ökologie wurde gemeinhin isoliert betrachtet, nicht auf einer Ebene stehend mit anderen (macht-)politischen Themen.
Was mit daran lag, dass Umweltschutz im Sinne von „aufgeräumt wird hinterher“ verstanden wurde. Dies im Gegensatz zu heute, da Umweltschutz schon mit dem Bestreben beginnt, toxisches Material gar nicht erst einzusetzen oder zumindest so, dass es nicht entweichen kann.
Der Chemiegigant vor Ort, die BASF, befand sich zu jener Zeit ebenfalls in einem Umbruchprozess. Umweltschutz begann, in der Konzernstrategie eine immer größere Rolle zu spielen. Wenn ein RHEINPFALZ-Beitrag jedoch sehr kritisch ausfiel, konnte es durchaus geschehen, dass freundliche Herren von der Pressestelle anriefen. Ihr Anliegen: „tiefergehende Informationen“ zu einem Thema zur Verfügung zu stellen. Nun, das nervte nicht in jedem Fall. Die Versorgung mit Hintergründen konnte sogar hilfreich sein, schließlich lernen gerade Journalisten niemals aus.
Vieles hat sich seither geändert. Auch was die Umweltthemen an sich betrifft. Diese wurden, positiv ausgedrückt, immer vielfältiger. So nahm irgendwann der Kampf ums Pfand auf Einweg-Flaschen größeren Raum ein als Meldungen über irgendwelche Umweltgifte. Der Streit um den Einsatz von Gentechnik begann. Und die unheimliche Rinderkrankheit BSE, die sich auch deswegen verbreitete, weil dem lieben Vieh Fleisch verstorbener Artgenossen verfüttertworden war und sich so krankmachende Eiweiße bildeten, sorgte für Schlagzeilen – und für Angst und Schrecken in der Bevölkerung.
Immer mehr begannen sich im Laufe der Zeit Naturwissenschaft,Ökonomie und Gesellschaftspolitik unter dem Begriff „Umweltschutz“ zu vermischen. Besonders augenfällig wurde dies mit dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 1998. Die Regierung Schröder/Fischer führte die Ökosteuer auf Kraftstoffe an der Tankstelle ein. Das Steueraufkommen wurde dabei größtenteils dazu verwendet, die Lohnnebenkosten zu senken (zu jener Zeit herrschte hohe Arbeitslosigkeit). Das Ökosteuer-Motto lautete deshalb: Energiekosten hoch, Rentenbeiträge runter!
In diese komplexen Themen musste man sich erst einmal einarbeiten. Das war in der Vor-Internetzeit gar nicht so einfach. Statt informative Internetseiten aufrufen, konnte man im besten Fall eine Konferenz mit Wissenschaftlern besuchen.
Nicht alle wichtigen Umweltthemen kommen und kamen indes so schlagzeilenträchtig daher wie damals BSE oder der Untergang von Öl-Tankern vor der Atlantikküste. Es dauerte viele Jahre, bevor klar wurde: Die größten Umwelteinwirkungen laufen im Hintergrund ab. Still und heimlich. Aber unaufhörlich. Dazu zählen das weltweite Artensterben – und natürlich der Klimawandel.
Das Ansinnen des jungen Kollegen, im Dezember 1995 für drei, vier Tage nach Berlin zu verschwinden, wo die erste Welt-Klimakonferenz neueren Typs stattfinden sollte, stieß im Ressort Politik auf alles andere als Begeisterung. Der Dienstreiseantrag wurde dennoch genehmigt. Vielleicht half der Hinweis, dass niemand Geringeres als Bundeskanzler Helmut Kohl seinen Bungalow in Ludwigshafen-Oggersheim verlassen und auf dem Gipfel eine wichtige Rede halten werde. Von der eigentlichen Konferenzpräsidentin, einer Bundesumweltministerin namens Angela Merkel, wusste allerdings niemand, was zu erwarten war. Kohls neue Umweltchefin war gerade einmal ein Jahr im Amt. Sie war die Nachfolgerin des international sehr gut vernetzten und glänzenden Erklärers Klaus Töpfer. In der Szene herrschte Sorge, dass mit der Ostdeutschen das Thema Umwelt in die Bedeutungslosigkeit abgleiten könne. Auf dem Klimagipfel vor einem Vierteljahrhundert verblüffte Merkel Journalisten vor allem damit, dass sie immer mal wieder freudestrahlend verkündete, dass sie erneut viel Neues über Klimadiplomatie gelernt habe.
Kompliziertes Thema trifft auf Machtpolitik und Egoismen
So wie Angela Merkel ging es freilich auch sehr vielen Journalisten. Die internationale Klimadiplomatie machte (und macht) es nicht leicht zu berichten. Denn erstens spielt bei Klimaverhandlungen so ziemlich alles mit, was unsere Welt sonst noch prägt: Machtfragen, Wirtschaftsinteressen, Egoismen. Zweitens spiegelt sich in den Dokumenten, über die tage- und nächtelang verhandelt wird, die Kompliziertheit des Themas, das so ziemlich jeden Aspekt des Lebens und des Alltags berührt, wider. Und letztlich kämpfen Juristen (und Sprachwissenschaftler) um bestimmte englische Formulierungen, die mehr oder weniger verpflichtende Abmachungen verraten. Journalisten, die in der Regel nur einen ziemlich beschränkten Platz zur Verfügung haben, fragen sich dann verzweifelt: Wie vermittele ich das nur meinen Lesern!? VON WOLFGANG BLATZ