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50 Jahre kreisfreie Stadt Neustadt

„Zusammen sind wir stärker“

Interview: Oberbürgermeister Weigel sieht organisch gewachsene und eng miteinander verbundene Gemeinde

„Zusammen sind wir stärker“

Sie werden demnächst 41 Jahre alt. Als 1969 die Gebietsreform umgesetzt wurde, waren Sie also noch nicht auf der Welt. Wann und wie sind Sie zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung gekommen? Als in den 90er-Jahren die Schließung der Freibäder anstand. Das war ein Thema, das mich sehr stark motiviert hat, mich kommunalpolitisch zu engagieren. Damals stand auch die Schließung des Duttweilerer Schwimmbads an (Anmerkung der Redaktion: Weigel stammt aus Duttweiler). Da hat sich für mich die Frage aufgedrängt: Warum entscheidet jetzt ein Rat oder ein Oberbürgermeister in Neustadt, dass wir unser Schwimmbad zumachen müssen? Und ich wollte wissen, wie man das verhindern kann.  

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Guter Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen: Marc Weigel. Archivfoto: LM

Warum war die Gebietsreform aus Ihrer Sicht der richtige Weg? Oder war sie das überhaupt?

Schwer zu sagen, ob das der richtige Weg war. Den Verlust der Eigenständigkeit strebt wohl niemand an. Das ist wie in der Ehe, obwohl es da manchmal auch anders kommt, als man denkt. Teilweise geschah der Zusammenschluss der neun späteren Ortsteile mit der Stadt freiwillig und in der Hoffnung auf Investitionen in die Infrastruktur, in anderen Fällen gegen Widerstand und ungewollt.

Sie können also verstehen, dass sich in manchen Ortsteilen damals Widerstand geregt hat.

Ich sehe Zwangsfusionen sehr kritisch, weil aus meiner Sicht die kommunale Selbstverwaltung eine Errungenschaft ist, die für Deutschland auch eine kulturelle Bedeutung hat. Subsidiarität und Föderalismus haben uns offensichtlich nicht geschadet, sondern haben uns gestärkt. Die Frage, in welcher Gemeinde man lebt und wie sie sich organisiert, sollte nicht an den Bürgerinnen und Bürgern vorbei entschieden werden.

Letztlich hat sich alles aber auch für die Ortsteile positiv entwickelt, oder?

Heute sind wir eine in den 50 Jahren auch organisch gewachsene und miteinander eng verbundene Gemeinde. Die Ressentiments und Bedenken, die es am Anfang gegeben hat, sehe ich heute als überwunden an. Die Weindörfer haben es geschafft, ihre Identität zu bewahren – und einer aus dem kleinsten Ortsteil durfte sogar OB werden (lacht). Stadtverwaltung und Stadtrat haben auf die sensible Lage ausreichend Rücksicht genommen. Die Ortsbezeichnungen werden vorrangig und ganz selbstverständlich weiter verwendet. Jeder hat seine Besonderheiten und kann sich gleichzeitig aber auch hinter der Marke Neustadt an der Weinstraße versammeln. Und auch bei uns gilt: Das große Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Zusammen sind wir stärker und werden von außen positiver wahrgenommen, als wir es uns selbst manchmal eingestehen.

Für die Ortsteile gab es ja damals „Geschenke“ wie Straßen, Festhallen, Kanalnetze.

Sie haben teils profitiert und waren teils auch benachteiligt. Zum Beispiel dadurch, dass Förderinstrumentarien wie die Dorferneuerung, die in Dörfern der Kreise durchgeführt wurde, für unsere Weindörfer in der Vergangenheit gefehlt haben. Zudem dürfen Städtebauförderungsmittel in der Regel dort nicht eingesetzt werden. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, diesen strukturellen Nachteil unserer Weindörfer abzubauen. Das Land hat dieses Ungleichgewicht mittlerweile auch erkannt und zeigt uns Wege auf. Es gibt in der Stadt allerdings genauso viel zu tun.

War die Stadt der große Gewinner der Gebietsreform – davon abgesehen, dass sie über 20.000 Einwohner dazu gewann?

Nein, und ich denke, dass das viele Bürgerinnen und Bürger der Kernstadt genauso sehen. Es herrschte lange Zeit die Einschätzung vor, die Ortsteile seien politisch stärker repräsentiert und dadurch im Vorteil. Ich sehe keine Gewinner oder Verlierer. Neustadt steht gut da, hätte aber auch mehr aus sich machen können. In unseren Weindörfern liegt die Grundlage für unsere Weinkultur, die identitätsstiftend für Neustadt ist. Insofern profitiert die Stadt von den Dörfern. Sie machen Neustadt an der Weinstraße erst zur Weinmetropole.

Kurz gesagt: Neustadt profitiert von den Weindörfern. Und umgekehrt?

Der Name Neustadt an der Weinstraße genießt Ansehen, es ist eine geschichtsträchtige und bedeutende Stadt mit einem guten Klang. Neustadt hat über Jahrhunderte das Umland infrastrukturell immer gut mitversorgt: Verkehr, Energie, Schulen, Gesundheit, Handel. Insofern ist die Stadt ihrer Versorgungsfunktion nachgekommen und ist auch wichtig für die Weindörfer. Sie sind alle eng mit Neustadt verbunden, definieren sich aber gleichzeitig als selbstbewusste Dörfer mit einem eigenständigen Charakter und Gemeinwesen. So soll das auch bleiben.

Die Bürger in den Ortsteilen fühlen sich nicht unbedingt als Neustadter, sondern als Muschbacher, Goisemer, Gimmeldinger und so weiter. Oder sehen Sie das anders?

Ich glaube, das kommt darauf an, wo sie sind. Hier in der näheren Region legt jeder Wert darauf zu sagen: Ich bin Muschbacher, ich komm’ vun de Haardt, oder ich bin Diedesfelder. Das ist auch völlig okay. Andernorts wird man sich schon als Neustadter bezeichnen. Und ich glaube, auch mit einem gewissen Stolz. Ich bin Königsbacher oder ich bin Geinsheimer, und wir gehören zu Neustadt. Sie können auch sagen: Wir sind Neustadter und wohnen in Gimmeldingen.

Es gibt ja Überlegungen für eine neue Gebietsreform. Sie sehen das sehr kritisch. Warum?

Weil ich gegen Zwangsfusionen bin. Diesen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung und Selbstbestimmung lehne ich ab. Mit der Einkreisung verlören wir ein Stück Planungs- und Finanzhoheit, zahlen Kreisumlage, bleiben aber weiter auf den großen Kostenbrocken wie dem Sozialetat sitzen. In dem uns zwischenzeitlich vorgelegten Gutachten des Landes wurde keinerlei Nachweis darüber erbracht, dass wir damit am Ende etwas einsparen. Es könnte sogar teurer werden. Und was soll das den Bürgerinnen und Bürgern von Neustadt an der Weinstraße bringen? Für uns kämen eine neue Verwaltungsebene und neue Gremien dazu, Verlust von Selbstbestimmtheit und Eigenständigkeit, Verwaltung und Politik entfernen sich weiter vom Bürger.

Ist das Ganze nicht genug durchdacht?

Ich habe den Eindruck, dass man es sich da zu einfach macht, indem man davon ausgeht, dass etwas Größeres per se etwas Gutes, weil effizienter ist. Aber es gibt viele Belege zum Beispiel aus anderen Bundesländern, dass dies nicht so ist. Zudem hat man ja vor, die größeren kreisfreien Städte in Rheinland-Pfalz in dieser Struktur zu erhalten. Aber gerade die sind am höchsten verschuldet, wie Kaiserslautern, Ludwigshafen und Trier. Sie nehmen deutschlandweit traurige Spitzenplätze ein. Das sind gerade diejenigen, die man in dieser Struktur belassen will – das ist für mich nicht logisch. Wir haben alle ein Finanzierungsproblem, unabhängig von der Größe, das liegt aber an der Kostenverteilung und den Finanzströmen zu Ungunsten der Kommunen. Wenn man uns faire Rahmenbedingungen gibt, sind wir sehr wohl in der Lage, unsere Aufgaben gut zu erfüllen.

Würde die Reform auch Nachteile für die Ortsteile bringen?

Eine weitere Verwaltungsstruktur, die da eingezogen würde, würde unsere Ortsteile schwächen. Wir haben als kreisfreie Stadt einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Kreisstruktur: Wir bedienen alle kommunalen Belange. Wir sind eine Verwaltung und können alles aus einem Guss steuern, weil wir Ortsgemeinde-, Verbandsgemeinde- und Kreisverwaltung in einem Haus sind. Ich sage übrigens nicht, dass alles so bleiben muss, wie es ist und wir uns nicht weiterentwickeln müssen. Ich werde daher die Chancen interkommunaler Zusammenarbeit neu bewerten und Kooperationsmöglichkeiten mit den Nachbarn beherzter angehen, um zu echten Kosteneinsparungen und Effizienzgewinnen zu kommen.

Wie sehen Sie Neustadt und die Ortsteile in weiteren 50 Jahren?

Wir werden enger zusammenwachsen, Kernstadt und Weindörfer bewahren ihre Identität und werden als „Dachmarke Neustadt an der Weinstraße“, der Wein- und Demokratiestadt, noch stärker als bisher bundesweit wahrgenommen, als Stadt mit hoher Aufenthalts- und Lebensqualität und mit einem besonderen Charme.

Zum Schluss noch ein Satz zum dreitägigen Fest vom 6. bis 8. September. Es war beziehungsweise ist Ihnen sehr wichtig, dass das Ereignis „50 Jahre kreisfreie Stadt Neustadt“ ordentlich gefeiert wird. Ja. Ich denke, es ist auch ein guter Zeitpunkt, um Bilanz ziehen und auch, um sich seiner selbst zu vergewissern. Ich finde, dass wir stolz sein können auf das Erreichte, auf uns. Gleichzeitig gibt es keinen Grund, sich auszuruhen. Wir haben einige Chancen in den vergangenen Jahren nicht ergriffen und sind in Neustadt besonderen Herausforderungen und Risiken ausgesetzt. Das will ich nicht verschweigen. Ich will gemeinsam mit der Stadtverwaltung, der Politik und den Bürgerinnen und Bürgern dafür sorgen, dass wir das meistern. Interview: Steffen Gall