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50 Jahre kreisfreie Stadt Neustadt

Die aufmüppfgen Rebellen

In Lachen-Speyerdorf war der Widerstand gegen die Eingemeindung besonders groß – Keine Geschenke

Die aufmüppfgen Rebellen

„Herr Dr. Brix, aus Lachen-Speyerdorf wird nix“, stand auf Plakaten, die Lachen-Speyerdorfer Bürger bei einer sehr gut besuchten Bürgerversammlung im August 1968 in die Höhe hielten. „In Lachen-Speyerdorf war der Widerstand gegen die Eingemeindung am größten“, erinnert sich Günther Freytag.  

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Hieß vor der Eingemeindung Hauptstraße: die Theodor-Heuss-Straße, in der auch die Ortsverwaltung zu finden ist. Foto: ffg

Im Oktober 1968 wurde in Lachen-Speyerdorf eine Bürgerbefragung zur Eingemeindung durchgeführt. 88,5 Prozent der 2526 wahlberechtigten Lachen-Speyerdorfer beteiligten sich daran, und nur 151 der 2236 Wähler stimmten für die Eingemeindung. Die Stadt Neustadt habe die Bürgerbefragung verhindern wollen – doch ohne Erfolg, erinnert sich Günther Freytag. Er wurde 1969 in den ersten Ortsbeirat gewählt, war aber zuvor schon politisch in der SPD aktiv und kann sich noch sehr gut an die Zeit der Eingemeindung erinnern.Im Gemeinderat vertreten waren damals die Wählergruppe Hiegle, die mit Emil Hiegle den Bürgermeister stellte, und die SPD. Beide waren Gegner der Eingemeindung. Sogar eine Verfassungsklage gegen die Eingemeindung legte der Gemeinderat ein. Genutzt hat aller Widerstand nichts, am 7. Juni 1969 wurde der Eingemeindungsvertrag abgeschlossen.

Niedrigere Gebühren

„Neustadt wollte Lachen-Speyerdorf, weil es ein Industriegebiet gebraucht hat“, erzählt Freytag. Die Stadt habe keine Gewerbeflächen mehr gehabt und keine Möglichkeit, ein weiteres Gewerbegebiet auszuweisen. Das wusste man natürlich in der Gemeinde: „Die Lachener waren schlau und haben 1965 das Gewerbegebiet Altenschemel ausgewiesen“, so Freytag. Mehrere bekannte Firmen, wie Schwarz & Dützmann sowie Pharma Bauer, denen an ihrem Standort in Neustadt der Platz nicht mehr reichte, siedelten daraufhin nach Lachen-Speyerdorf um. Die Gemeinde verkaufte die Gewerbeflächen zum Preis von zwei Mark pro Quadratmeter. Der Preis sei absichtlich so niedrig gehalten worden: „Man wusste ja, man kriegt zukünftig die Gewerbesteuer“, sagt Freytag. „Der Brix hat gemerkt, dass ihm das Gewerbe davon läuft“, ergänzt er.Die Stadt war hoch verschuldet, deshalb habe sie der Verlust der Gewerbesteuereinnahmen umso mehr getroffen. Auf 4029 Mark belief sich zur Zeit der Eingemeindung die Pro-Kopf-Verschuldung in Neustadt. In Lachen-Speyerdorf waren es nur 59 Mark. Nicht nur die Schulden waren geringer, „bei uns waren alle Gebühren viel niedriger als in Neustadt“, weiß Freytag.  

Interessant sei Lachen-Speyerdorf für Neustadt auch wegen seiner großen Gemarkung gewesen. Die Fläche der Stadt war kleiner als die von Lachen-Speyerdorf. Zu Lachen-Speyerdorf gehörten auch Erfenstein und Iptestal, denn der Wald von Lachen-Speyerdorf ging bis zu den beiden Orten im Tal. „Die Erfensteiner und Iptestaler sind immer mit dem Fahrrad gekommen, wenn sie im Rathaus etwas zu erledigen hatten“, weiß Freytag noch.

Zur guten finanziellen Situation der Gemeinde trugen auch Gewerbesteuereinnahmen aus Erfenstein und Iptestal bei. Diese kamen unter anderem aus einem florierenden Sägewerk in Erfenstein. Bei der Gebietsreform wurden die zwei Orte von Lachen-Speyerdorf abgetrennt und kamen zur Verbandsgemeinde Lambrecht. Zu Erfenstein und Iptestal gehörender Wald grenzt nach wie vor an Lachen-Speyerdorfer Wald. Und die Burg Spangenberg gehört Neustadt, da Lachen-Speyerdorf sie bei der Eingemeindung mitgebracht hat. „Eigentlich gehört sie uns“, sagt Freytag.
  

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Günther Freytag. Archivfoto: Mehn

Die Proteste gingen weiter

Um die Eingemeindung zu verhindern, habe es Überlegungen gegeben, mit Geinsheim und Duttweiler eine Verbandsgemeinde zu gründen. Doch in Geinsheim dominierten CDU-Vertreter, „und die haben zum Brix gewollt“, sagt Freytag. Duttweiler sei zu klein gewesen, hatte nicht mal eine eigene Wasserversorgung. Bestrebungen, mit Haßloch eine Verbandsgemeinde zu bilden, habe Brix „mit Hilfe seines Freundes Helmut Kohl“ verhindert. Auch nach der Eingemeindung seien die Proteste weitergegangen, erinnert sich Freytag. An den Grenzen zur Stadt wurden Schilder mit der Aufschrift „Hier endet nach dem Willen der Verwaltungsreformer das Recht der freien Entscheidung“ aufgestellt. „Wir sind überfahren und vergewaltigt worden“, verkündete der Lachen-Speyerdorfer Altbürgermeister Johann Mehrmann (SPD). Erster Ortsvorsteher wurde Herbert Kercher, angetreten war er für die SPD, doch er wechselte bald zur CDU. „Der Brix hat immer bei ihm Wein geholt“, weiß Freytag. Erst nach der Eingemeindung entstand in Lachen-Speyerdorf ein Ortsverband der CDU. „Dafür hat der Brix gesorgt“, so Freytag. Die SPD hatte im Ortsbeirat die Mehrheit: „Die Stimmung war kritisch gegenüber der Stadt.“ Man habe genau beobachtet, wie sie sich gegenüber Lachen-Speyerdorf verhält, berichtet Freytag. Im Gegensatz zu anderen Orten habe man kein sogenanntes Eingemeindungsgeschenk bekommen. „Wir waren zu aufmüpfig“, sagt Freytag. In Lachen-Speyerdorf sei der Widerstand gegen die Eingemeindung am größten gewesen.

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Wurde 1965 ausgewiesen und lockte viele Firmen nach Lachen-Speyerdorf: Gewerbegebiet Altenschemel. Foto: ffg

Schwierig für ältere Bürger

Die Lachen-Speyerdorfer hätten bald die negativen Folgen der Eingemeindung gespürt: „Wir haben sehr viele Rechte verloren“, sagt Freytag. Die Gebühren erhöhten sich, Straßennamen mussten geändert werden. So wurde aus der Hauptstraße die Theodor-Heuss-Straße und aus der Bahnhofstraße die Goethestraße. Vor allem für ältere Bürger sei es schwierig gewesen, für Erledigungen bei der Verwaltung nach Neustadt zu fahren. „Als wir noch selbstständig waren, ist alles schneller gegangen“, so Freytag. Auch in den folgenden Jahren sei es nicht besser geworden. „Wir haben als großer Ortsteil immer zu wenig bekommen und uns zurückgesetzt gefühlt“, sagt Freytag, der von 1979 bis 2004 Ortsvorsteher von Lachen-Speyerdorf war. Zwar habe man sich mit der Zeit mit der Eingemeindung arrangiert. „Aber wir fühlen uns nach wie vor als Lachen-Speyerdorfer“, betont Freytag. ann