Anzeigensonderveröffentlichung
LEO Saison Frühjahr 2019

Dramen der Gegenwart

Festival: »Heidelberger Stückemarkt«

Dramen der Gegenwart

Das Leben des Rosa von Praunheim als Punkkonzert: Bozidar Kocevski in „Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht“. Foto: Arno Declair/frei

Ein Waschsalon in Istanbul. Fünf Menschen treffen hier aufeinander, sie alle treibt, auf unterschiedliche Weise, die Sorge um die politische Situation in ihrer Heimat um. Eine Unterhaltung beginnt, aus der ein „kraftvoller, wütender Bühnenessay über den Zustand der türkischen Gesellschaft“ erwächst. Er trägt den ironischen Titel „I love you Turkey“, stammt aus der Feder der 1981 in Istanbul geborenen Autorin Ceren Ercan, wurde 2017 in der Uraufführungsinszenierung des Bakirköy Belediyesi Tiyatrosu beim Istanbuler Theaterfestival gefeiert und ist nun, am 4. Mai, beim„Heidelberger Stückemarkt“ zu sehen.

Gastland des Theaterfestivals für Gegenwartsdramatik ist dieses Jahr nämlich die Türkei. Und weil es dort, Erdogan und allen diktatorischen und konservativen Tendenzen zum Trotz, eine lebendige und produktive Theaterszene gibt, sorgt das für spannenden Input. Insgesamt sind fünf türkische Produktionen in Heidelberg zu sehen – neben „I love you Turkey“ zum Beispiel auch das Stück „Mechul Pasa – Die Geschichte einer verbotenen Zeitung“ (So 5.5., 18 Uhr, Marguerre-Saal). Es erzählt von der politischen Verfolgung der Autoren und Zeichner eines Satire-Magazins während der 1940er- und 1950er-Jahre. Und obschon das Stück komplett im Historischen bleibt, spiegelt es doch, brandaktuell, die gegenwärtige Beschneidung der Pressefreiheit durch Erdogan. Mutig!

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Aus dem Gastland: „I love you Turkey“. Foto: EmreMollaoglu/frei

Seismographen der Wirklichkeit sind,mit höchst unterschiedlichem Fokus, auch die Uraufführungen, die aus dem deutschsprachigen Raum zum „Stückemarkt" geladen sind. So zeigt zum Beispiel das Schauspielhaus Graz mit „Erinnya“ von Clemens J. Setz ein Drama, das unsere immer stärker werdende Abhängigkeit von digitaler Technologie grotesk zuspitzt (Do 2.5., 20.30 Uhr, Alter Saal). Als Recherche zum entfesselten Finanzwesen wird das Theaterprojekt „Cum-Ex Papers“ angekündigt (So 28.4., 20.30 Uhr, Alter Saal). Einen „queerfeministischen Live-Porno“ veranstaltet das Kollektiv Henrike Iglesias mit „Oh my“ (Fr 3.5., 18.30 Uhr, Zwinger 3). Und der homosexuelle Filmemacher Rosa von Praunheim lässt sein bewegtes Leben Revue passieren: im autobiografischen Theaterabend „Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht“, den das Deutsche Theater Berlin als „schräge Lied-Revue voll Glitzer-Punk und Anarcho-Pop“ serviert (Sa 27.4., 20.30 Uhr, Marguerre-Saal).

Noch frischer als diese Uraufführungen sind eigentlich nur die Texte, die im Autorenwettbewerb verlesen werden. Hierbei treten sechs deutschsprachige und drei türkische Dramatikerinnen und Dramatiker an. kai

INFO
Heidelberger Stückemarkt: 26.4. bis 5.5., Theater Heidelberg, Karten und Info: 06221 5820000, www.heidelberger-stueckemarkt.de

SPIELPLÄNE: VORSCHAU AUF WICHTIGE INSZENIERUNGEN

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Regisseur Barrie Kosky: Seine Inszenierung von „Pelleas und Melisande“ ist ab 25.5. in Mannheim zu sehen. 
Foto: G. Gellar/frei

»RIENZI« IN KAISERSLAUTERN

Vom Grünen Hügel ist dieses Frühwerk Richard Wagners zwar verbannt, dennoch lohnt sich die Beschäftigung mit dieser 1842 in Dresden uraufgeführten Oper. Und das nicht nur wegen ihrer hinreißend markanten Ouvertüre, sondern auch um der Geschichte willen, die sie zu erzählen hat. Denn das Musikdrama über den Aufstieg und Fall des Volkstribuns Cola Rienzi spielt zwar im Rom des 14. Jahrhunderts, lässt sich als politische Parabel aber auch trefflich auf jüngere Vergangenheit und gegenwärtige Ränkespiele beziehen. Das Pfalztheater Kaiserslautern zeigt die Oper ab 4. Mai (Premiere um 18 Uhr) in einer Inszenierung des ehemaligen Pfalztheater-Intendanten Johannes Reitmeier. Info: www.pfalztheater.de. kai

»PELLEAS UNDMELISANDE« INMANNHEIM

Golaud, ein schon langsam ergrauender Königssohn, hat sich auf der Jagd verirrt. Im Wald trifft er auf eine ominöse junge Frau: Melisande. Sie heiraten, doch das Verhältnis der Eheleute bleibt seltsam distanziert. Vielmehr schließt sich Melisande an Golauds jüngeren Bruder Pelleas an. Bald nagt an Golaud die Eifersucht – und so nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Dabei bleibt in diesem Musikdrama, für das Claude Debussy von 1893 bis 1902 ein Theaterstück des belgischen Symbolisten Maurice Maeterlinck vertonte, vieles unausgesprochen, mehrdeutig und ungeklärt. So gleicht diese Oper einem Traumspiel und tiefgründigen Seelendrama. Regisseur Barrie Kosky hat 2017 an der Komischen Oper Berlin eine Deutung erarbeitet, die in nachtschwarzem, minimalistischem Bühnenbild die Psychologie der Figuren ins Visier nimmt. Diese Inszenierung übernimmt das Mannheimer Nationaltheater ab 25. Mai (Premiere: 19 Uhr); www.nationaltheater-mannheim.de. kai

»WOYZECK« IN LUDWIGSHAFEN

Schillers „Räuber“ setzte er auf riesigen Laufbändern in Szene, Büchners „Woyzeck“ hat er am Theater Basel auf eine gewaltige stählerne Drehscheibe gestellt: Regisseur und Bühnenbildner Ulrich Rasche ist bekannt für spektakuläre Maschinenkulissen. Im Falle Woyzecks, der, von allen Menschen in seinem Umfeld gedemütigt, schließlich zum Mörder wird, erweist sich Rasches monumentale Bühnenmaschine als Sinnbild: Der Mensch ist hier nur Teil eines Räderwerks, rotierend in einem endlosen Kreislauf aus Gewalt und Erniedrigung. Die dreistündige „düster-technoide Sprechoper“, die auch zum Berliner Theatertreffen 2018 eingeladen war, gastiert am Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen: 31.5./1.6. jeweils 19 Uhr; www.theater-im-pfalzbau.de. leo