Autoimmunerkrankungen, Allergien, Entzündungen: Eine Therapie mit Glukokortikoiden kann Wunder wirken. Doch oft überwiegt die Angst vor Nebenwirkungen. Ein Experte erklärt, warum es wichtig ist, sich mit dem Stresshormon auszukennen, um Nebenwirkungen abzumildern.
Wie sich Nebenwirkungen bei Cortison-Therapien lindern oder verhindern lassen
Glukokortikoide, häufig Cortison genannt, gehören in Deutschland zu den am häufigsten verordnetenMedikamenten. So wurde ein einziges Präparat nur eines Herstellers im Jahr 2019 knapp 3,5 Millionen bei den gesetzlich Krankenversicherten verordnet, wie eine Analyse des Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) ergab. Nebenwirkungen wie das „Mondgesicht“, Gewichtszunahme, aber auch Osteoporose und Thrombosen nicht ausgeschlossen. Doch hinter dem Begriff „Glukokortikoide“ verbergen sich verschiedene Substanzen, die auch in ihrer Wirkkraft und Wirkdauer sehr unterschiedlich sind.
Der Natur nachgebildet
Für die Präparate wurde das körpereigene Hormon Cortisol, das in den Nebennieren gebildet wird, künstlich nachgebildet und weiterentwickelt. Prednisovlon etwa wirkt je nach Darreichungsform vier- bis fünfmal stärker als der natürliche Ausgangsstoff, Dexamethason sogar 30-mal. „Dies ist wichtig zu wissen, wenn man über diese Substanzgruppe spricht“, sagt Stephan Petersenn von der Praxis für Endokrinologie und Andrologie „Endoc“ in Hamburg. Ebenso wichtig ist dem Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) zufolge die Kenntnis der Symptome sowohl einer Über- als auch Unterversorgung mit Glukokortikoiden. Petersenn: „Hier können wir viel von Krankheitsbildern lernen, die mit einer Erhöhung oder Verringerung des Cortisolspiegels einhergehen.“ Ein Zu viel an Cortisol, wie etwa beim Cushing-Syndrom, führe unter anderem zu dem gefürchteten Aufschwemmen des Körpers bei gleichzeitigem Muskelverlust. Ein Mangel des Stresshormons, der etwa bei einer Schwächung der Nebennierenrinde vorkomme, habe häufig einen dramatischen Leistungsverlust, Muskel oder Gelenkschmerzen wie bei einer Grippe, Müdigkeit und das Gefühl von Unterzuckerung zur Folge. „Diese mitunter drastischen Folgen für den Körper lehren uns, auch Über- und Unterversorgung mit Glukokortikoiden bei einer Therapie frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls gegenzusteuern“, so Petersenn.
Was viele ebenfalls nicht wissen: Der Cortisolspiegel hat einen eigenen Tagesrhythmus – morgens ist er am höchsten. Darüber hinaus steigt er bei größeren Anforderungen wie seelischem und körperlichem Stress. In Ruhe fällt der Wert. „Sobald Patienten mit einem körpereigenen Mangel an Cortisol also etwa Fieber und Gliederschmerzen bekommen, kann die Dosis zu niedrig sein“, so Petersenn. Patienten, die länger Glukokortikoide einnehmen oder an einer Störung der Produktion leiden, sollten deshalb genau über diese Symptome, aber auch das tägliche Auf und Ab dieses Hormons geschult werden. So lasse sich das persönliche Befinden besser einordnen und gegebenenfalls einer Unter- oder Überversorgung vorbeugen.
Risiken minimieren
„Dem Risiko, eine Osteoporose zu entwickeln, können wir mit einer täglichen Gabe von Vitamin D und je nach Situation mit zusätzlichen knochenschützenden Medikamenten begegnen; der Thrombosegefahr lässt sich bei besonders gefährdeten Patienten mit einer klassischen Antikoagulations-Therapie vorbeugen“, nennt er Beispiele. „Kenntnisreich und verantwortungsvoll angewendet, kann die Therapie mit Glukokortikoiden eine segensreiche und das Leben oder zumindest die Lebensqualität rettende Maßnahme bei völlig verschiedenen Erkrankungen sein“, fasst Petersenn zusammen. msw