Die Straßencafés auf der Maximilianstraße sind gut gefüllt, die ersten Gäste kommen nach ihrer Rheinfahrt zurück an Land und die Papageien rund um den Dom singen ihr Lied. Speyer präsentiert sich im September von seiner besten Seite, fast so, als wolle die Stadt die Teilnehmer, die gleich den „Speyermer Stadtspaziergang“ beginnen, besonders beeindrucken.
„Speyermer Stadtspaziergang“: Fremdenführer Sermet Özsoy begibt sich mit Domstadtbewohnern und Touristen auf eine Entdeckungsreise durch die Mikwe, um den Dom und in die Dreifaltigkeitskirche
20 Personen dürfen aktuell an einer öffentlichen Führung teilnehmen. Obwohl gerade wegen der Pandemie viele ihre Tickets schon im Vorfeld online buchen, gibt es auch immer wieder Kurzentschlossene, die sich spontan der nächsten Gruppe anschließen. Mit diesem Wissen im Hinterkopf beginnt Sermet Özsoy seine Führungen meistens auch erst fünf Minuten später und gibt bis dahin einen kleinen Ausblick darüber, was die Gäste in den nächsten anderthalb Stunden in Speyer erwarten können.
Durch den Kulturhof Flachsgasse geht es dann auch direkt zur ersten Station. Auf dem kurzen Weg reißt der Stadtführer immer wieder Geschichten an, deren Auflösung er aber erst an einem der nächsten Haltepunkte verrät. Mit diesem kleinen Trick, erklärt Özsoy augenzwinkernd, hofft er die Neugier seiner Besucher zu wecken, damit auch wirklich alle bis zum Schluss dabei bleiben – bis jetzt funktioniert es. Ein Tor in der Kleinen Pfaffengassen führt zum Judenhof mit der Mikwe. Als Teil der SchUM-Stätten gehört diese seit Juli zum Unesco-Weltkulturerbe und gibt ein beispielloses Zeugnis des jüdischen Lebens im Mittelalter. Dass es für den Judenhof eine eigene 90-minütige Führung gibt, zeigt, wie viel es über die Ruinen der Synagoge und das Tauchbad zu erzählen gibt. Während immer wieder kleinere Grüppchen in die Mikwe hinabsteigen, in der noch Wassersteht, erklärt Özsoy die wichtigsten Punkte der jüdischen Vergangenheit in Speyer. Dass die Stufen, die zur Mikwe führen, alle verschiedene Höhen haben, ist übrigens Absicht. Schon das Betreten des rituellen Bades sollte bewusst erfolgen und die ungleichmäßige Treppe erforderte die volle Aufmerksamkeit und Konzentration der Gläubigen.
Allein die Fassade des Doms erzählt unzählige Geschichten
Zum Abschluss verrät er noch eine ganz persönliche Theorie, nach der die damaligen Juden im Winter wahrscheinlich besonders darauf geachtet haben, keine Sünden zu begehen, die das rituelle Bad erforderlich gemacht hätten – das Wasser habe nämlich konstante zehn Grad Celsius. Mit diesem Späßchen und nachdem auch die letzten Teilnehmer wieder aus der Mikwe emporgestiegen sind, setzt sich die Gruppe wieder in Bewegung.
Insgesamt, verkündet Özsoy, bewegt sich der Spaziergang nur in einem Umkreis von etwa 500 Metern. Das zeigt, das die Sehenswürdigkeiten in Speyer dicht gesät sind. Und wer hier Sehenswürdigkeit sagt, muss auch Dom sagen, nach dem Judenhof jetzt schon das zweite Weltkulturerbe auf der Tour.
Da es auch für den Dom eigene Führungen gibt, steuert der „Stadtspaziergang“ nicht hinein, aber immerhin drum herum. Obwohl das Bauwerk zu den bekanntesten der Stadt zählt, ist die ein oder andere Information hier sicherlich auch für alteingesessene Speyerer interessant. So weiß bestimmt nicht jeder, dass der Dom ursprünglich direkt am Rhein gebaut wurde, um vorbeifahrende Schiffe zu beeindrucken oder dass sich auf der Ostseite das „Kleine Paradies“ befindet.
Der Domnapf vor dem Eingangsportal ist die meisten Speyerer hingegen ein Begriff. Für Touristen allerdings ist die Besichtigung der großen Schüssel aus Sandstein, die früher die Grenze für das sogenannte Kirchenasyl markierte und heute bei der Einführung eines neuen Bischofs mit 1580 Litern Weißwein gefüllt wird, ein Höhepunkt.
Die kleine Jakobsmuschel vor dem Napf passt zur Statue des Pilgers in der Hauptstraße. Den Namen Maximilianstraße hat diese von den Bayern erhalten, die Speyer nach der Verwüstung von 1689 in weiten Teilen wieder aufgebaut hatten. Die ganze Geschichte dazu erzählt Özsoy während er die Gruppe Richtung Dreifaltigkeitskirche führt. Dass diese gerade offiziell gar nicht geöffnet ist, ist kein Problem, der Stadtführer hat einen Schlüssel. Obwohl sie zunächst katholisch anmuten mag, handelt es sich um eine protestantische Kirche, deren Vorderbänke im wahrsten Sinne des Wortes einen besonderen Dreh haben. Um die mittig platzierte Kanzel betrachten zu können, kann man hier nämlich auch mit dem Rücken zum Altar Platz nehmen. Und der Blick auf den Kirchenausgang ist passend, denn auf dem kleinen Vorplatz endet der „Speyermer Stadtspaziergang“, nachdem Özsoy noch einmal schnell die wichtigsten Punkte festhält: Salier, Franzosen, Bayern – sie alle haben die Stadtgeschichte beeinflusst. Özsoy kommt selbst aus Speyer und aus der Tourismus Branche. Er freut sich, als Fremdenführer der Stadt etwas zurückgeben zu können. Die Führungen sind sein Hobby und ihm ist wichtig, dass er genau so viel Spaß daran hat wie auch seine Teilnehmer.
Um das Angebot weiter ausbauen zu können, bildet die Stadt gerade weitere Touristenführer aus und bietet Schulungen an. Ein besonderer Bedarf bestünde an fremdsprachigen und hier vor allem an englischsprachigen Interessierten, die die Stadtgeschichte auch ausländischen Touristen nahebringen können. lp
Termine im Oktober
„Speyermer Stadtspaziergang“:
02.10., 14 Uhr
03.10., 11 Uhr / 14 Uhr
09.10., 14 Uhr
10.10., 11 Uhr / 14 Uhr
16.10., 11 Uhr / 14 Uhr
17.10., 11 Uhr / 14 Uhr
23.10., 11 Uhr / 14 Uhr
24.10., 11 Uhr / 14 Uhr
30.10., 11 Uhr / 14 Uhr
31.10., 11 Uhr / 14 Uhr
Welterbestätten-Führung:
04.10. - 08.10., 11 Uhr
11.10. - 15.10., 11 Uhr
18.10. - 22.10., 11 Uhr
25.10. - 29.10., 11 Uhr