Was der Verkehrsverein und die Schausteller ohne Brezelfest in den letzten zwei Jahren gemacht haben, darüber berichten Susanne und Norbert Kühner in den folgenden Beiträgen.Juli 2020Unumgänglich, schmerzlich, aber in Konsequenz notwendig war die Absage des 111. Brezelfests im Jahr 2020 für den Verkehrsverein Speyer (VVS). In Gedenken an das Volksfest gab es ein Treffen im kleinsten Kreis von Verantwortlichen. Im Paradiesgarten der Dreifaltigkeitskirche kamen die am Tag des Brezelfest-Freitags zusammen, um Aktuelles zu beleuchten und gemeinsam auf Kommendes zu hoffen. Eine Tradition blieb dabei gleich: das Freibier der Eichbaum-Brauerei.
Rückblicke aus dem Jahr 2020/21
Zum ersten Mal seit 1948 musste der Vorsitzende des VVS, Uwe Wöhlert, stellvertretend für alle Funktionäre das Brezelfest im April absagen. Zum Treffen im Paradiesgarten band er sich umso lieber die entsprechende Krawatte – liebevoll gebatikt von Ursula Ruhl – um.„So hat sie wenigstens einmal Ausgang in diesem Jahr“, kommentierte Wöhlert seine Entscheidung.
In Kürze streifte er die Entwicklung der vergangenen Monate. Dabei sparte er die geplante Alternative zum Brezelfest nicht aus. „Das Konzept war genehmigungsreif, aber das aufflammende Infektionsgeschehen hat eine Umsetzung kurz vor knapp doch unmöglich gemacht“, informierte Wöhlert. Wieder fallen lassen musste der VVS die Idee einer Veranstaltung im kleinen Rahmen, die eigentlich schon in trockene Tücher gewickelt war. In dem Zusammenhang lobte Wöhlert generell die Verantwortung und das Engagement, mit dem die Stadtspitze die Speyerer Bürgerschaft durch die schwere Zeit getragen habe.
So positiv dies auch war: Eine Branche vergaß der VVS-Chef nicht in seinen Ausführungen – die Schausteller. „Es geht darum, Ideen zu diskutieren und Motivation für die Zukunft zu geben“, untermauerte Wöhlert. Zu dem Zeitpunkt war die Stadt mit den entsprechenden Abteilungen gerade dabei, gemeinsam mit den Speyerer Beschickern eine Möglichkeit für eine kleine Messelandschaft im Domgarten auf den Weg zu bringen.
Mehrfach, so Wöhlert, sei versucht worden, ein Stück Brezelfest auch in der Corona-Zeit zu bewahren. Zum einen nannte er die virtuelle Ausstellung „110 Jahre Brezelfest“, die das Stadtarchiv online gestellt hatte, zum anderen den symbolischen Fassanstich im Paradiesgarten und zum Dritten die vereinigten Speyerer DJs, die passend zu diesem Anlass die Brezelfesthymne – im vergangenen Jahr von Rüdiger Kiktenko und Udo Sailer aufgelegt – vom Fischmarkt aus auf den Weg durch die Stadt schickten.
Nicht zuletzt setzte Wöhlert auf eine doppelt so schöne und erfolgreiche Veranstaltung 2021, die alle für den Ausfall 2020 entschädigen soll. Eingeklinkt hatte sich der VVS im Crowdfunding-Projekt, das durch die Stadtwerke Speyer initiiert worden war. Durch den Erwerb verschiedener Devotionalien konnte ein Beitrag dazu geleistet werden, die finanzielle Talsohle vielseitig erträglicher zu machen. „Viel hilft viel“, untermauerte Wöhlert dazu. Nicht nur der VVS sollte von der zusammengetragenen Summe profitieren, sondern auch die Schausteller und der Round Table sollten Teile davon abbekommen.
„Wer trübsinnig ist, zieht das Unglück an“, mahnte Wöhlert zum Optimismus, der durch die dunkle Zeit tragen soll. Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler griff den Faden auf und warf ein: „Es bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten, ob das Virus dem Pfälzer Lebensgefühl zugetan sein wird.“ Nicht gerne teilen wolle es die von den Speyerern gern gefrönte Geselligkeit bislang, was wiederum zur Absage vieler Veranstaltungen – unter anderem der des Brezelfests – geführt habe. Auch wenn Seiler zugab, den Handschlag und die Umarmung zu vermissen und sich schon mehrfach eine Glaskugel gewünscht hätte um zu sehen, wie es weitergeht, machte sie deutlich: „Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, solidarisch und diszipliniert miteinander umzugehen.“
Die OB nannte die Schaustellerei als Branche, die auch die Stadt besonders beschäftigt. „Wir wollen unseren Beschickern ihren Platz in unserer Stadt geben“, kündigte sie bereits beim Treffen des VVS im Paradiesgarten die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit im Domgarten an. Gemeinsam mit dem Schaustellerverband werde dauerhaft daran gearbeitet, eine lange Durststrecke zu überbrücken, bis wieder der erste offizielle Fassanstich auf dem Festplatz erfolgt. „Das Fass wird dann doppelt so groß sein“, unterstrich Seiler.
Der Vorsitzende des Speyerer Schaustellerverbands, Alexander Lemke, sprach von einem exzellenten Ruf, das die Mutter aller Feste – das Brezelfest – unter seinen Kollegen hat. „Es ist eine stabile Einnahmequelle“, nannte er einen wesentlichen Aspekt für seine Branche, kehrte aber auch die Tradition hervor: „1200 Jahre Volksfestkultur und Brauchtum haben eine besondere Bedeutung.“
Deutlich machte Lemke, dass die Schausteller nach nahezu über einem halben Jahr ohne Einnahmen wieder arbeiten und eigenes Geld verdienen wollen. „Wir sind uns bewusst, in dieser Situation auf Sicht fahren zu müssen. Unser Dank gilt daher allen, die mit uns kämpfen und mitwirken bei der Lösungssuche“, sagte er.
Gut eine Stunde verweilte die VVS-Familie mit ihren Gästen im Paradiesgarten, unter Beachtung der gegebenen Hygienevorschriften. Dann waren seitens der Schausteller das (Lebkuchen)-Herz für die Stadt stellvertretend an Stefanie Seiler überreicht, der Aufruf zur Versteigerungsaktion für das alternative Brezelfestbild von Dr. Günter Wallmen erteilt, ein neues Corona-bezogenes Brezelfest-Lied von Rüdiger Kiktenko vorgetragen und das Eichbaum-Fass geleert.
August 2020
Kein Brezelfest, keine Bildversteigerung, keine Spende für einen guten Zweck. So hätte die Konsequenz in diesem Jahr gelautet – wenn nicht kreative Köpfe und künstlerisch Spontane den Zwängen durch das Corona-Virus etwas entgegenzusetzen hätten. Ein alternatives Brezelfestbild wurde versteigert, Button und Kunstdrucke wurden erstellt und selbst der Brezelfestwein wurde aufgelegt.
Dr. Günter Wallmen hat das Rad zur Spendenakquise ins Rollen gebracht. Der Speyerer Mediziner hat sich als künstlerisches Wunderkind entpuppt und ein mittlerweile stadtweit bekanntes Bild zum Volksfest in der Zeit von Covid-19 auf die Leinwand gebracht. Das wurde virtuell über die Homepage des Brezelfestes versteigert. Schlag 16 Uhr am 31. August fiel der digitale Hammer: Für 3.100 Euro ging der Zuschlag an eine Dame mit dem höchsten Gebot.
Juli 2021
Im vergangenen Jahr hatten die Funktionäre und Mitglieder des Verkehrsvereins Speyer (VVS) gemeinsam mit der Stadtspitze und allen Bürger*innen darauf gesetzt, 2021 wieder ein Brezelfest im gewohnten Sinne zu feiern. Corona belehrte eines Besseren. Erneut war die Ausrichtung des Volksfestes nicht möglich. Eine Zusammenkunft im Kleinen mit einem Ausflug in die Anfangsjahre der Feierlust konnte es jedoch geben.
Der Domgartenbummel, bei dem die Speyerer Beschicker ihre Imbissstände und kleine Unterhaltungsangebote im Schatten des Kaiser- und Mariendomes auf der Wiese aufbauen, war 2020 als Alternative entwickelt worden, um den Schaustellern einige Einnahmen zu ermöglichen. Bestens angenommen worden war das Angebot, so dass eine Wiederholung 2021 in Anbetracht der weiterhin angespannten Infektionslage nahezu vorhersehbar war.
Seit dem 18. Juni dürfen Bratwurst, Crêpes und Co nun wieder im Domgarten verspeist werden. Der Nachwuchs wird mit Bungee-Jump und Fischeangeln unterhalten. Erweitert haben die Beschicker gemeinsam mit der Marktmeisterei ihre Aktivitäten diesmal. Aus dem Domgartenbummel wurde über einen festgelegten Zeitraum die Brezelfestwoche. Die nutzte auch der Verkehrsverein, um wenigstens im Geiste gemeinsam das Fest gebührend zu bedenken.
Der Donnerstagabend, an dem eigentlich die Eröffnung stattfinden sollte, wurde zum Anlass für ein Treffen geladener Gäste aus den eigenen Reihen und der Gönnerschaft genommen. „Um diese Zeit würden wir einmarschieren“, stellte der Vorsitzende Uwe Wöhlert gegen 19 Uhr am 8. Juli fest. Statt Traumwetter wurde den Anwesenden an diesem Abend Regen beschert – ein deutliches Zeichen dafür, dass der Brezelfestgott tieftraurig war über die zweite Absage in Folge.
Diese war für Wöhlert aber vertretbar, auch wenn die Inzidenzwerte von um die 500 vor Weihnachten auf nahezu Null zum Datum des Volksfestes gesunken waren.„Insgesamt fühlen wir uns mit unserer Entscheidung wohl, weil auch andere große Veranstaltungen bis hin zum Dürkheimer Wurstmarkt abgesagt worden sind“, machte der Vorsitzende deutlich. Als eine Sache der Vernunft bezeichnete er es, in diesen Tagen nicht unbeschwert feiern zu können.
„Masken tragen beim Bestellen, Selbsttests, 3G-Regel, 5000 zugelassene Menschen bei Open Air-Veranstaltungen – wie wollten wir das messen und organisieren, wenn wir ansonsten über das Brezelfest 300.000 Besucher zählen“, führte Wöhlert gute Gründe an, die die Veranstaltung nicht durchführbar machten. Der Optimismus des zurückliegenden Jahres ist geblieben. „Ich hoffe“, merkte Wöhlert an, „dass wir 2022 wieder ein unbeschwerteres Brezelfest feiern können.“
Leidlich überstanden habe der Verein die Corona-Pandemie. In den eigenen Reihen seien zwei Fälle aufgetreten; beide Personen gehe es wieder gut. Darauf, gesund, genesen oder geimpft zu feiern, setzte Wöhlert mit Blick auf das kommende Jahr. Rückblickend auf die Historie des Brezelfestes meinte er: „2020 und 2021 werden in die Geschichte eingehen als keine guten Jahre, da nicht gefeiert werden konnte.“
In Gemeinschaft erlebten die Zugehörigen des VVS schließlich ein großes Stück früher Vergangenheit. Wie vor einigen Monaten angekündigt war es dem Ehrenmitglied und Vereinsarchivar Fritz Hochreither gelungen, Dokumente – vor allem Bildmaterial – aus den Anfängen der Brezelfestumzüge im Stadtarchiv aufzutun. In akribischer Kleinarbeit hatte er die recherchierten Fotos und Skizzen gesichtet.
Nachdem sich abzeichnete, dass es 2021 wiederum weder Brezelfest noch den damit verbundenen Umzug geben wird, war ein Gedankenblitz die Grundlage einer herausragenden Premiere. Die entdeckten Fotos wurden von Mediengestalter und Beiratsmitglied Roland Brönner aufbereitet, so dass diese auf dem Bildschirm darstellbar waren. Zu guter Letzt unterlegte er die ins Laufen gebrachten Bilder mit Musik. Das Ergebnis: ein Umzugsgefühl beim Brezelfesttreff im Barth’schen Biergarten, das gleichzeitig einen Ausflug in die Geschichte ermöglichte.
Festwagen und feierlich gekleidete Menschen, die nachweislich Szenen der Brezelfest-Umzüge von 1911 bis 1914 darstellten, zogen an den Augen der Anwesenden über einem Bildschirm vorbei. Liebevoll und detailreich gezeichnet wurden die Umzüge einst zur Festlegung der Zugfolge. Fast 30 laufende Meter dieses Materials, teilweise handkoloriert, wurden von Hochreither gesichert und von Brönner digital bearbeitet. „Es ist bisher unentdecktes, unerforschtes und spektakuläres Material aus der Frühzeit unseres Vereins und des Brezelfests“, ist auch der VVS-Vorsitzende Uwe Wöhlert begeistert. Er erinnerte an das erste Fest, das 1910 als Brezelmarkt stattfand. Susanne Kühner