Wer am Montag den 30. Mai 1910 die Speyerer Zeitung aufschlug konnte folgendes lesen:„Die Feste folgen sich, aber sie gleichen sich nicht. So schrieben wir neulich. Gestern vor acht Tagen feierten wir ein Fest von mehr ernstem, feierlichem Gepräge, die Einweihung des Museums. Gestern ein dem Frohsinn geweihtes Fest, ein Brezelfest großen Stils: das Wahrzeichen Speyers sollte zu vollen Ehren kommen und in seiner vollen kulturgeschichtlichen Bedeutung für unsere Stadt allem Volk vorgeführt werden. Und da sich im trauten Verein mit unserer Speyerer Brezel stets das Bier befindet, so galt das Fest auch zugleich diesem beliebten Genussmittel, dem in unserem Speyer bekanntlich ein großer Industriezweig dient. Ein großer Verkehrstag sollte das Fest für die alte Kaiserstadt am Rhein werden und wirklich der erste Wurf gelang“.
Speyer feiert 2022 das 83. Brezelfest
Im Jahr 1910 feierte Speyer sein erstes Brezelfest, damals „Verkehrs- und Bretzeltag“ genannt. Es war kein stadtgeschichtlicher Anlass, dem das Brezelfest seine Entstehung verdankt, sondern wirtschaftliche Überlegungen standen im Vordergrund. Der Absatz Speyerer Erzeugnisse sollte gefördert werden. In erster Linie das Bier, die Brezel und die Zigarre. Ende des 19. Jahrhunderts waren rund 1.250 Arbeiter allein im Brauwesen und mit der Zigarrenherstellung beschäftigt. Ferner waren 15 Brezelbäckereien als Handwerksbetriebe registriert.
Das Brezelfest ist zum Speyerer Nationalfest geworden. Speyer feierte im Juli 2010 „100 Jahre Speyerer Brezelfest“ und dieses Jahr das 83. Brezelfest. Wie geht das?
Schon bald nach dem Brezelfest 1914 begann der Erste Weltkrieg, der mit dem Waffen-stillstand von Compiègne am 11. November 1918 endete. Während dem Krieg fanden keine Volksfeste statt. Nach dem Krieg war an eine Neubelebung nicht zu denken. Wirtschaftskrisen, Inflation, Besatzungstruppen und politische Wirren verhinderten die Veranstaltung des Brezelfestes.
Obwohl es Nörgler und Zweifler gab, die einer Renaissance des Brezelfestes feindlich gegenüberstanden, gab es im Jahr 1929 wieder ein Brezelfest.
Am 30. Juni 1930 erfolgte der Abzug der französischen Besatzungstruppen aus der Pfalz. Statt eines Brezelfestes gab es eine Befreiungsfeier, zu der Reichspräsident von Hindenburg nach Speyer kam.
1931 wurde wieder ein Brezelfest gefeiert, wegen der Weltwirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit von 1932 bis 1935 darauf verzichtet. Ab 1936 erkannten die nationalsozialistischen Machthaber, dass das Brezelfest für ihre Ideologie zu gebrauchen sei und feierten am zweiten Wochenende im Juli bis 1939 das Speyerer Volksfest.
Bald nach dem Brezelfest 1939 brach wieder ein Krieg aus, der weit schlimmer als ein Vierteljahrhundert zuvor die Welt ins Verderben stürzte und bis zum Jahr 1949 die Durchführung eines Brezelfestes verbot. Erst vom 9. bis 11. Juli 1949 stand Speyer wieder im Zeichen der Brezel und seitdem jedes Jahr.
Seit dem Jahr 1949 haben wir uns sicher gefühlt und nicht damit gerechnet, dass das Brezelfest wieder einmal ausfallen könnte. Bis das Jahr 2020 und ein kleines Virus in die Welt kam. Und so trat nach 71 aufeinanderfolgenden fröhlichen Brezelfest Jahren im Jahr 2020 und 2021 Brezelfest-Stillstand ein. Vor 112 Jahren fand das erste Brezelfest statt. Wir hätten 2022 das 113. Brezelfest feiern können. 30-mal ist das Brezelfest ausgefallen, sodass im Jahr 2022 erst das 83. Fest gefeiert werden kann. Frank Scheid