Die Statistik spricht Bände: Mehr als 23 Millionen Menschen sollen in Deutschland unter chronischen Schmerzen leiden. Oft sind sie von Arzt zu Arzt gepilgert – ohne Ergebnis. Zwei führende Schmerzexperten widmen fast 20 Arten von Schmerzen ein Buch, das sich als Wissens- und Selbsthilfe-Leitfaden versteht: „Das Handbuch gegen den Schmerz“. Zu Wort kommen führende Experten sowie Betroffene, die ihre Leidensgeschichten und hilfreiche Erfahrungen schildern.
Beispiel Rückenschmerzen:
„Fast jeder Mensch hat im Laufe seines Lebens einmal Kreuzschmerzen“, sagt Prof. Dr. med. Thomas R. Tölle,Neurologe, Psychologe und Leiter des Zentrums für Inderdisziplinäre Schmerzmedizin am Klinikum rechts der Isar in München. Nur bei zehn bis 20 Prozent der Fälle könne eine konkrete Ursache dafür gefunden werden. Deshalb raten Tölle und seine Kollegin Prof. Dr. med. Christine Schiessl, ihres Zeichens Anästhesistin, Schmerztherapeutin, Palliativmedizinerin und Chefärztin der Algesiologikum-Tagesklinik für Schmerzmedizin in München, zunächst mit Schmerzmitteln, Wärmepflastern und viel Bewegung gegen den Schmerz vorzugehen. Auf keinen Fall ins Bett legen: „Damit riskiert man, das sich der Schmerz festsetzt und chronisch werden kann.“ Daher seien Schmerzmittel sinnvoll, um den Teufelskreis aus Schmerz, Bewegungsarmut und weiteren Schmerzen zu durchbrechen. Bei Unfällen, nach Wirbelsäulen-OPs, bei Krebserkrankungen und begleitenden Symptomen wie Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Fieber oder Schüttelfrost müsse man aber direkt zum Arzt gehen, ebenso bei Infektionskrankheiten wie Borreliose und HIV, bei Rückenschmerzen, die ausstrahlen, und wenn es zur Taubheit oder gar Lähmung der Beine komme.
Als Bausteine für eine erfolgreiche Behandlung vieler Arten von Rückenschmerzen raten die Experten zu Bewegungstherapie, Stressabbau und medikamentöser Therapie. Tölle: „Das ist derzeit die wirksamste Möglichkeit, chronische nicht spezifische Kreuzschmerzen in den Griff zu bekommen.“
Beispiel Kopfschmerzen:
Rund 250 unterschiedliche Formen dieses Leidens unterscheidet die Internationale Kopfschmerzgesellschaft. Klar, dass es dagegen nicht ein einziges Heilmittel geben kann. „Mediziner unterscheiden zwischen primären und sekundären Kopfschmerzen“, erörtert Experte Prof. Dr. med. Till Sprenger von der DKD Helios Klinik in Wiesbaden. Sekundäre Kopfschmerzen seien Begleitsymptome einer anderen Erkrankung oder Folgen eines Unfalls, das heißt sie können also anders als primäre auf eine bestimmte Ursache zurückgeführt werden. Die Schmerzen einem der beiden Felder zuordnen zu können, ist ein wichtiger erster Schritt der Diagnose. „Grundlage dafür ist, dass der Patient den Schmerz gut beschreiben kann“, so Sprenger. Vor allem bei Migränepatienten leisten ihm zufolge Kopfschmerzkalender als Therapiehilfe gute Dienste, weil sich so unter Umständen bestimmte Auslöser bestimmen lassen. Laut Sprenger scheint auch Akupunktur bei Kopfschmerzen und Migräne gut zu wirken.
Beispiel Gelenkschmerzen:
„Gelenkkrankheiten wie Arthrose oder Arthritis gehören zu den zehn häufigsten Ursachen chronischer Schmerzen“, weiß der Schweizer Rheumatologe Dr. med. Michael Späth. Medikamente, die Arthrose und Arthritis verhindern oder heilen können, gibt es seinen Angaben zufolge nicht. Hilfreich ist dem Experten zufolge in jedem Fall Bewegung, damit der Gelenkknorpel als wichtige Schutzschicht über die Gelenkflüssigkeit gut versorgt wird. Ziel der medikamentösen Behandlung sei daher allein, Schmerzen zu lindern und die dabei stattfindenden Entzündungsprozesse zu hemmen, so dass gesunde Bewegung wie sanfte Ausdauersportarten und Lockerungsgymnastik erleichtert wird. Auch schmerzlindernde Hausmittel wie Linsenbad (mit warmen Linsen), Quark- und Kohlwickeln sowie gelenkstabilisierende Bandagen und Orthesen könnten Schmerzen lindern. wig
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Tölle/Schiessl: „Das Handbuch gegen den Schmerz“, ZS Verlag, 2019, 24,99 Euro.