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75 Jahre DIE RHEINPFALZ

Wilde Zeiten

1945 – 1947: Das Grauen des Zweiten Weltkrieges lag gerade mal vier Monate zurück, da erschien schon die erste Ausgabe der RHEINPFALZ. Alles war knapp: Essen, Wohnraum, Kohle – und auch Papier. Die französische Besatzungsmacht setzte großes Vertrauen in Josef Schaub und seine Mannschaft. Buchstäblich aus Trümmern bauten die fünf Gesellschafter eine Zeitung auf, mit der ein kleines Stückchen Normalität in die Pfalz zurückkehrte.

Wilde Zeiten

Parade der französischen Truppen anlässlich des Nationalfeiertags am14. Juli 1947 in Ludwigshafen in der Bismarckstraße vor dem Kaufhof.

Mit dem Einmarsch der Alliierten waren alle Publikationen erst einmal verboten worden, doch die Franzosen ließen erstaunlich schnell wieder Presse-Erzeugnisse zu. Dass Josef Schaub, 1899 in Deidesheim geboren, schließlich den Auftrag zur Gründung einer überparteilichen Zeitung für die Vorderpfalz erhielt, lag wohl zuallererst daran, dass er politisch unbelastet war. In Ludwigshafen hatte er von 1921 an mit den Brüdern Albert und Johannes Finck die dem katholischen Zentrum nahestehende „Neue Pfälzische Landeszeitung“ aufgebaut. Den Nationalsozialisten war er deshalb ein Dorn im Auge. Seit 1936 durch Berufsverbot geknebelt, verließ Schaub im darauffolgenden Jahr die Pfalz. In Wesel, Trier und Neunkirchen arbeitete er bei verschiedenen Zeitungen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges musste Josef Schaub untertauchen und verbrachte die letzten Tage bis zur Befreiung der Pfalz durch US-Truppen im März 1945 in einem Tal im Wald in der Nähe von Deidesheim, wie sein Sohn Dieter erzählt. Dieser erinnert sich auch daran, wie sein Vater und er selbst – damals acht Jahre alt – heimlich von Verwandten versorgt wurden, während in ihrer unmittelbaren Nähe im Wald Geschosse einschlugen.

Erstausgabe wird Verkäufern aus den Händen gerissen

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Voller Entbehrungen war das Leben in der Nachkriegszeit: eine Familie in einer Notunterkunft in Ludwigshafen. FOTO: STADTARCHIV LUDWIGSHAFEN/KORTOKRAKS

Im Juni 1945 legte Schaub dem Leiter des Nachrichten- und Presseamts des Oberregierungspräsidiums Mittelrhein-Saar in Neustadt, Otto Eichenlaub, ein Exposé für die Gründung einer Zeitung im gesamten Bereich Mittelrhein-Saar vor. 100.000 Exemplare kalkulierte der damals 46-Jährige als Startauflage. Sobald Papierknappheit und Vertriebsprobleme überwunden seien, könne man gar mit einer Auflage von 800.000 rechnen, meinte Schaub. Allerdings stieß das ehrgeizige Projekt bei der Militärregierung nicht auf große Gegenliebe. Die Franzosen befürchteten nicht nur massive Vertriebsprobleme, sie wollten auch das Saargebiet in nicht allzu ferner Zukunft von Deutschland abspalten und hatten daher kein Interesse an einer publizistischen Klammer zwischen der Mittelrheinregion und dem Saargebiet. Auch der Sitz des zu gründenden Verlages – Neustadt oder Baden-Baden, oder vielleicht dann doch Mainz und Kaiserslautern – sorgte für Unstimmigkeiten innerhalb der Militäradministration.

So ging es hin und her, Exposés wurden erstellt, diskutiert und wieder verworfen. Am Ende einigte man sich auf zwei Zeitungen an zwei Standorten: die RHEINPFALZ mit Sitz in Neustadt, die die Vorderpfalz abdecken sollte, und die „Pfälzische Volkszeitung“ in Kaiserslautern mit dem Verbreitungsgebiet Westpfalz. Das Redaktionskollegium der RHEINPFALZ sollte aus Vertretern aller vier politischen Strömungen bestehen. Am 10. September beauftragte die französische Besatzungsmacht schließlich Josef Schaub mit der Gründung eines Verlags für die Vorderpfalz. Als Druckort stellten die Franzosen die Zweigstelle Lambrecht der von ihnen beschlagnahmten Saarpfälzischen Druckerei zur Verfügung.

Schon am 29. September erschien mit einer Startauflage von 53.210 Exemplaren die erste Ausgabe der RHEINPFALZ als „Zeitung für die Landkreise Bergzabern, Frankenthal, Kirchheimbolanden, Landau, Ludwigshafen am Rhein, Neustadt an der Haardt und Speyer“. Der Hunger nach Informationen war in der Pfalz wohl fast genauso groß wie der nach Nahrung. In der zweiten RHEINPFALZAusgabe vom 3. Oktober 1945 (Seite 3) ist zu lesen: „Eine sehr günstige Aufnahme fand die erste Zeitung, ,Die Rheinpfalz’ in unserer engeren Heimat, in Ludwigshafen. Die Zeitung wurde den Verkäufern buchstäblich aus der Hand gerissen und bald war sie ausverkauft. Es stellte sich heraus, daß die Auflage bei weitem nicht ausreichte, um eine Arbeiterstadt, die geistig ausgehungert ist, zu befriedigen“, schreibt Herbert Müller, der bis 1947 Redakteur in Ludwigshafen war und später zuerst für die KPD und dann für die SPD im Ludwigshafener Stadtrat saß. Müller kümmerte sich um die Lokalnachrichten. Seine Wohnung in der Ebertstraße 5 diente als erstes, provisorisches Büro der RHEINPFALZ in Ludwigshafen. Die Zentrale des RHEINPFALZ-Verlages befand sich bis Oktober 1951 als „Untermieterin“ der Pfälzischen Verlagsanstalt (PVA) in der Neustadter Kellereistraße, wo auch heute noch die Lokalredaktion Neustadt zu finden ist.

Kritik an Frankreich ist nicht erwünscht

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Die RHEINPFALZ-Gründer Michael Nagel, Arthur Lenk und Hans Wipprecht (von links) begutachten ihr Werk. FOTO: STADTARCHIV LUDWIGSHAFEN/KORTOKRAKS

„Es waren wilde Zeiten“, so beschreibt Senior-Verleger Dieter Schaub die Anfangsjahre der RHEINPFALZ. Geboren 1937, hat er als Kind miterlebt, wie sein Vater Josef einmal die Woche nach Baden-Baden musste – zum Rapport. Dort bekam dieser von den Franzosen die Papierration zugeteilt. „Und wenn in der Zeitung zuvor etwas gestanden hatte,was den Zensoren der Besatzungsmacht nicht passte, hörte er auch schon mal die Drohung, beim nächsten Mal gebe es kein Papier mehr“, erinnert sich Dieter Schaub, der von 1964 bis 1993 die Geschicke des RHEINPFALZ-Verlages lenkte. Bis Ende 1946 habe ein Presseoffizier Themen vorgegeben und mit bestimmt, was in der Zeitung zu erscheinen habe, schreibt Stephan Pieroth dazu in seiner Doktorarbeit über „Parteien und Presse in Rheinland-Pfalz 1945 – 1971“ . Danach sei den Redaktionen mehr Spielraum eingeräumt worden, wobei allerdings immer noch gewisse inhaltliche Vorgaben einzuhalten waren. Kritik an der französischen Politik sei zum Beispiel nicht erwünscht gewesen und habe Sanktionen nach sich gezogen.

Bis zum Jahresende war der Umfang der RHEINPFALZ bereits von vier auf acht Seiten angewachsen, darunter rund eine Seite Anzeigen. 14 Beschäftigte hielten den Betrieb am Laufen. Sogar eine „Kulturecke“ gab es schon. Am Ende dieses ersten Geschäfts( viertel)jahres verzeichnete die Bilanz des Verlages laut einer Abschreibungstabelle nicht nur eine Schalttafel und einen Schaltschrank, sondern auch ein Fahrrad und einen Personenwagen der Marke Opel, eine Tischleuchte, zwei Schreibtische und vier Schreibmaschinentische. Hinzu kamen noch 27 weitere, nicht näher beschriebene „kurzlebige Wirtschaftsgüter“.

Das Jahr 1947war ein entscheidendes für die junge Zeitung. In der französischen Zone stand eine Pressereform an. Parteijournalismus sollte es jetzt nur noch bei reinen Parteizeitungen geben. Soweit Parteienvertreter in überparteilichen Blättern saßen, sollten sie sich von dieser Funktion verabschieden oder ihre Posten räumen. Das betraf bei der RHEINPFALZ alle Redaktionsausschuss-Mitglieder mit Ausnahme des Chefredakteurs. Die RHEINPFALZ führte nun die Bezeichnung „Unabhängige, überparteiliche Zeitung für Politik, Kultur, Wirtschaft, Heimat und Sport“ im Titel. Gleichzeitig schlossen die französischen Dienststellen die „Pfälzische Volkszeitung“ in Kaiserslautern. Deren Leserschaft wurde von der RHEINPFALZ übernommen, die nun in der gesamten Pfalz erschien – von 1949 an täglich außer sonntags.

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Trümmerwüste Amtsstraße: Auf der rechten Seite entstand später das Pressehaus. FOTO: STADTARCHIV LUDWIGSHAFEN

Pfalzweites Erscheinen, das hieß auch, Lokalredaktionen aufbauen. Redakteur Paul Kaps, der von der „Pfälzischen Volkszeitung“ kam, wurde beispielsweise nach Pirmasens geschickt. In seinen Erinnerungen beschreibt er den redaktionellen Alltag als permanentes Klettern über Ruinen auf der Suche nach Dienststellen und Behörden, als ständiges Hungern, das ihn sogar zum Äpfelklauen getrieben habe, und als endlose Touren auf dem Drahtesel seiner Zimmerwirtin, um Außentermine in Dörfern wie Waldfischbach, Trulben oder Rodalben wahrzunehmen.

Nach der von den Franzosen verfügten Pressereform dauerte es genau sieben Monate, bis Chefredakteur, Verlagsleitung und Vertreter der Militärregierung einen Gesellschaftsvertrag ausgehandelt hatten. Gesellschafter der am 18. Dezember 1947 gegründeten „Rheinpfalz Verlag und Druckerei-GmbH“ mit Sitz in Neustadt an der Haardt, Kellereistraße 12/16, waren Verlagsleiter Josef Schaub, Hauptbuchhalter Arthur Lenk, Rotationsmaschinenmeister Michael Nagel, Schriftsetzer Hans Wipprecht und Maschinensetzer Franz Xaver Resch sowie Chefredakteur Ernst Johann und zwei Kollegen. Wer aus dem Unternehmen ausschied, musste seine Anteile abtreten.

Was die fünf „Gründungsväter“ so einzigartig in der Presselandschaft der Nachkriegszeit macht, ist, dass jeder ein ausgewiesener Fachmann in seinem Bereich war. „Die Arbeitsteilung war optimal“, erinnert sich Dieter Schaub. „Es gab keine großen Schlachten unter den fünf Gründern, keiner ging auf Konfrontationskurs. Die RHEINPFALZ war quasi ein Familienunternehmen.“

Das bestätigt auch Redakteur Paul Kaps: „Josef Schaub hatte den Verlag aus Trümmern heraus gestartet. Die Idee von einer großen, unabhängigen Zeitung für die Pfalz zeigte den Weg auf, den er gehen wollte und in den folgenden Jahren auch konsequent gegangen ist. Und mit ihm die ,Männer der ersten Stunde’: Arthur Lenk, der Finanzmann des Hauses, wie Josef Schaub ein erfahrener Verlagskaufmann; Michael Nagel aus Schifferstadt, der Maschinenexperte, der unter einem Trümmerberg in Ludwigshafen verrottete Setzmaschinen ausbuddelte und es schaffte, dass ihre Räder, Spindeln und Spulen sich wieder drehten und die Spatienkeile funktionierten; Hans Wipprecht aus Gimmeldingen, der die Handsetzerei flottmachte, und Xaver Resch, der keine Maschine sehen konnte, ohne an ihr herumzubasteln.“

Die RHEINPFALZ ist so etwas wie ein Familienbetrieb

Reihum trafen sich in den Anfangsjahren die Gesellschafter, deren Nachkommen heute noch Anteilseigner des Unternehmens sind, am Wochenende in den Privatwohnungen. Es wurde, so Dieter Schaub, „gegessen, getrunken und gesungen“. Die Familien seien einander eng verbunden gewesen, die Kinder miteinander aufgewachsen, ergänzt Ilka Weiß-Wipprecht, die Tochter von Hans Wipprecht. „Man hat sich damit belohnt für die Schufterei in der Woche“, erinnert sich Dieter Schaub. VON ANNETTE WEBER